Die Somalia-Doktrin (German Edition)
gegen den Mund. Abdi stockte der Atem, als er seinen Sohn zu Boden gehen sah. Blut lief ihm übers Kinn. Der andere Mann brummte etwas und trat Abdi gegen das schlimme Bein, so dass er der Länge nach im Staub landete. Sein Mund füllte sich beim Aufprall mit Kieseln und Sand.
Die Milizleute zerrten sie hoch und warfen sie ins Führerhaus des Lasters. Abdi beugte sich über Khalid, der jedoch noch besinnungslos war. Sein Kopf hing über die Kante der Sitzbank. Sachte zog er seinen Sohn in eine bequemere Lage und bettete sich dann seinen Kopf in den Schoß. Beide waren sie blutüberströmt, von ihrem eigenen wie dem anderer.
Die ganze Szene hatte nur wenige Augenblicke gedauert, aber Abdi kam es vor, als wäre die Zeit stehengeblieben. Er hatte nichts mitbekommen von dem, was da rund um ihn passierte. Das Zuschlagen der Tür jedoch riss ihn wieder zurück in die Realität. Er sah zu, wie die beiden Milizleute ihre Waffen durchsahen. Einer von ihnen blieb neben dem Laster, der andere lief zusammen mit dem Kriegsherren tiefer ins Camp.
Abdis Sehvermögen war immer hervorragend gewesen, aber in diesem Augenblick wünschte er sich, blind zu sein. Menschen schrien und liefen in alle Richtungen, zertrampelten die, die zu Boden fielen. Die Milizleute schossen lachend in die Luft und eröffneten dann das Feuer auf die Vertriebenen. Mütter riefen nach ihren Kindern. Väter baten auf den Knien um das Leben ihrer Familie, bevor man sie aus nächster Nähe erschoss.
Eine Gruppe von Milizleuten zerrte eine schreiende Frau aus einer der Hütten, die ihr Baby umklammert hielt. Sie rissen es ihr aus den Armen und warfen es zu Boden. Einer der Männer zerstieß ihm mit dem Kolben seiner AK-47 den kleinen Kopf. Dann schoss er ihm eine Kugel in den Körper, die das Kleine zerriss und die kreischende Mutter mit Fleisch, Blut und Knochen bespritzte. Tränen rannen Abdi die hohlen Wangen hinunter, als er in der Frau eine der Töchter seines älteren Bruders erkannte. Zorn stieg in ihm hoch, als die Männer sie wiederholt vergewaltigten und eine Sturzflut von Erinnerungen an die Vergewaltigung und Ermordung seiner eigenen Frau über ihn hinwegschlug.
Der Mann, der vor dem Truck Wache stand, schob sich eine weitere Ladung Khatblätter in den Mund, während er in Richtung der Gewalttätigkeiten sah, als passiere da nichts Besonderes.
Wie konnten Menschen so tief sinken? War das Allahs Strafe für ihre Sünden?
Auf seinem Schoß begann sich Khalids Kopf zu bewegen. Der Junge versuchte sich aufzusetzen, aber Abdi drückte ihn wieder hinab.
»Alles in Ordnung«, sagte er und versuchte beruhigend zu klingen. Er strich seinem Sohn übers Haar. »Ruh dich nur aus.«
Er wollte auf keinen Fall, dass sein Sohn die Gräuel da draußen sah. Er hatte in seinem kurzen Leben schon genug gesehen. Khalid erbrach das Bisschen, was er im Magen gehabt hatte, und spuckte es in Abdis Schoß.
Mittlerweile strömte der Rest der Milizleute in das Lager. Die Trucks kamen hereingefahren und zerdrückten die Hütten unter den groben Profilen ihrer großen Reifen; Holzsplitter und andere Teile flogen in alle Richtungen, bis nur noch von Plastikfetzen bedeckte Müllhaufen übrig waren. Abdis jüngerer Bruder kam aus einer der Hütten gelaufen, bevor sie überfahren wurde. Er lief, so schnell er konnte, und für einige Augenblicke sah es fast so aus, als käme er mit dem Leben davon. Dann beugte sich einer der Milizleute aus dem Laster und richtete seine AK-47 auf ihn. Ein kurzer Feuerstoß folgte. Sein Bruder brach zusammen. Sein Arm stand in einem merkwürdigen Winkel nach oben weg.
Abdi saß völlig reglos da, während das Blutbad andauerte. Die Milizleute gingen systematisch durch alle Hütten, zogen jeden heraus, den sie darin fanden, egal ob Mann, Frau oder Kind. Sie schienen es plötzlich eilig zu haben, da sie niemanden mehr vergewaltigten. Es waren nur noch Schreie und Schüsse zu hören. Sie richteten alle kurzerhand hin.
»Vater, was passiert da?«
Khalid setzte sich neben ihm auf.
»Warum machen die das?«, fragte er.
»Weil sie böse sind, mein Sohn. Allah wird sie richten. Jetzt leg dich wieder hin und schau da nicht zu.«
Aber der Junge starrte wie gebannt nach draußen. Abdi folgte seinem Blick. Zwanzig Meter vor ihnen zerrte ein junger Milizmann mit gierigem Blick Abdis Schwester Faadumo an den Haaren zu Boden. Kreischend versuchte sie sich zu befreien.
Khalid öffnete den Mund, aber es wollte kein Ton herauskommen. Faadumo war wie eine
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