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Die Sonate des Einhorns

Die Sonate des Einhorns

Titel: Die Sonate des Einhorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter S. Beagle
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mit einem katzengesichtigen Wesen anzustarren, das seinen strammen, schuppenbesetzten Leib auf Beinen balancierte, die so knochenlos und unendlich elastisch wie ein Gartenschlauch aussahen. Die Kommunikation zwischen ihnen war begrenzt, da das Tier auf der Erde saß und Joey wohlweislich oben in einem Baum, obwohl es sie deutlich einlud, auf einen Besuch hinunterzukommen. Das lehnte sie ab, und gegen Abend ging es weg, doch Joey verbrachte die Nacht dennoch auf dem Baum.
    »Das war kein Wesen aus Shei’rah«, sagte Ko, als sie es ihm beschrieb. »Die Ältesten meinen, es gäbe so viele Welten jenseits von deiner und meiner, Tochter. Wenn das so ist, kann es dann nicht auch noch andere Grenzen geben?«
    »Oh, das gefällt mir nicht«, antwortete Joey, obwohl sie inzwischen eher empört als ängstlich war. »Ich hasse es. Das ist zuviel, es ist zu unheimlich.«
    Ko zuckte mit den Schultern, kratzte seinen strubbeligen Kopf und grinste sein schiefes Grinsen. »Ach, na ja, wir denken nicht oft an so was, wir Tirujai. Davon tut uns der Kopfweh.«
    Lange sah Joey ihn an, ohne etwas zu sagen. Einer plötzlichen Eingebung folgend fragte sie ihn: »Ko, wie alt ist einhundertsiebenundachtzig Jahre? Also, ich meine in eurer Rechnung?«
    Der Satyr wurde unruhig, wollte ihr nicht in die Augen sehen. Joey wiederholte die Frage. Als Ko schließlich antwortete, war er kaum zu verstehen. »Als Tirujai wäre ich so etwa in deinem Alter. Fast genauso alt.«
    »Ach«, sagte Joey. »Ach, du Schwindler!. Nennst mich die ganze Zeit Tochter und bist nur ein kleines Kind, genau wie ich, wie Touriq. Ko, du bist ein echter Scharlatan!«
    »Ich bin älter als Touriq«, murmelte Ko. Er sah dermaßen elend aus, daß Joey ihn in die Arme schließen und ihm fest versichern mußte, daß er ihr stets unendlich viel älter vorgekommen war, bis er getröstet schien.
    Das einzige, was sie von den ältesten Ältesten erhaschen konnte, war ein kurzer Blick auf zwei Schatten, bei denen es sich um Prinzessin Lisha und ihren Liebsten, den Karkadann Tamirao, gehandelt haben mochte, die sich gemächlich im Zwielicht bewegten. Doch während dieser Zeit der Suche machte sie eine überraschende und unerwünschte Entdeckung. Sie stieß auf die Knochen eines Einhorns.
    Es war im hoch gelegenen Wüstenland Shei’rahs: eine windgebeutelte, zutiefst öde Gegend, die Joey selten aufsuchte, wegen der Jakhaos, und weil sie sich dort oben stets allzusehr um Abuelita sorgte und Schuldgefühle bekam, weil sie den Rest ihrer Familie so wenig vermißte. Doch die großen Schlangen hausten zu dieser Jahreszeit sicher unter der Erde. Joey fragte sich seit kurzem ernsthaft, ob sie nicht eine Karte von ganz Shei’rah zeichnen sollte, was BeeBee Huang gewiß als erstes getan hätte. Sie saß auf einem versteinerten Baumstumpf, stocherte nachdenklich mit einem Stock im Sand herum, als sie auf etwas Hartes stieß und mit den Händen danach grub, um es herauszuholen. Es dauerte ungewöhnlich lang, bis sie begriff, was sie da gefunden hatte.
    Man konnte unmöglich erkennen, welcher der Ältesten dort unter dem Sand ruhte. Joey saß da und hielt den zerbrechlichen Schädel und die langen, noch immer anmutigen Knochen eine Weile fest. Dann legte sie diese so vorsichtig wie möglich zurück, sprach ein kleines Gebet, das ihre Großmutter sie gelehrt hatte, und ging davon.
    Weder zu Ko noch zu Touriq sagte sie ein Wort, und sie gestattete sich auch nicht, allzusehr über die Bedeutung ihrer Entdeckung nachzusinnen. Sie zog es vor, einen Großteil dieser Zeit in SheiVah entweder in Gesellschaft der Bach-Jalla oder des Tirujai zu verbringen, die beide nicht das geringste Interesse an den Geheimnissen der Ältesten hatten. Beide boten ihr warmherzige Gesellschaft, ohne viele Fragen zu stellen, und Joey ließ sich darauf ein, bis zu dem Punkt, an dem sie sich erkältete, weil sie zuviel Zeit mit dem Erlernen eines Schwimmstils verbracht hatte, bei dem man mit dem gesamten Körper schwer definierbar herumwedelte. Sie fühlte sich noch etwas angeschlagen, als sie am nächsten Morgen die Stimme Lord Sintis in sich spürte, und diese sagte: »Es wird Zeit«, und Touriq kam, um sie zur Grenze zu begleiten.
    Sie hoffte sehr, Sinti höchstpersönlich auf dieser Reise zu begegnen. Gern hätte sie ihm ein paar Fragen gestellt, und sie spürte, daß das schwarze Einhorn nicht weit sein konnte. Doch es tauchte nicht auf. Sie hatten fast schon die Grenze erreicht, als Joey etwas zu Touriq sagen wollte,

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