Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)
leicht abgedreht, aber … manche Dinge haben eine Aura. Manche nicht.«
Naja, gerade darauf zähle ich. »Wir reden hier von einem der zentralen Aktivposten einer jahrhundertealten Sekte.«
Er nickt. »Das ist gut. Gegenstände des täglichen Gebrauchs … Haushaltsgeräte? Gibt es nicht mehr.« Er schnipst mit den Fingern: puff. »Wir haben echt Glück, wenn wir so was wie eine tolle Salatschüssel finden. Aber religiöse Objekte? Du würdest staunen, wie viele rituelle Urnen noch in der Gegend herumschwirren. Keiner will derjenige sein, der die Urne weggeschmissen hat.«
»Das heißt, wenn ich Glück habe, wollte auch keiner derjenige sein, der die Gerritszoon weggeschmissen hat.«
»Richtig. Und falls jemand sie gestohlen hat, ist das ein gutes Zeichen. Gestohlen werden ist mit das Beste, was einem Gegenstand passieren kann. Gestohlenes Zeugs kommt wieder in Umlauf. Nicht unter die Erde.« Dann presst er die Lippen zusammen. »Aber mach dir keine allzu großen Hoffnungen.«
Zu spät, Oliver. Ich schlucke den Rest meines Gebäcks hinunter und frage: »Wenn man also eine Aura hat, wohin kommt man dann?«
»Wenn diese Patrizen irgendwo in meiner Welt existieren«, sagt Oliver, »dann gibt’s einen Ort, wo du sie finden kannst. Du brauchst einen Platz am Accession Table.«
ERSTE KLASSE
T abitha Trudeau ist Olivers beste Freundin aus Berkeley. Sie ist klein und stämmig, mit braunem Lockenhaar und großen, bedrohlichen Augenbrauen hinter einem dicken schwar zen Brillengestell. Inzwischen ist sie die Stellvertretende Leiterin des obskursten Museums in der ganzen Bay Area, eines kleinen Gebäudes in Emeryville, das sich das California Museum of Knitting Arts and Embroidery Sciences nennt – Kaliforniens Museum für die Kunst und Wissenschaft des Stickens und Strickens.
Oliver hat uns per E-Mail miteinander bekannt gemacht und Tabitha erklärt, dass ich mich auf einer besonderen Mission befinde, die er gutheißt. Er hat mir auch den taktischen Rat gegeben, dass eine Spende nicht schaden würde. Leider würde jede nur halbwegs angemessene Spende mindestens zwanzig Prozent meiner weltlichen Habe ausmachen, aber ich habe immer noch einen Gönner, darum schrieb ich Tabitha in meiner Antwort, dass ich eventuell tausend Dollar zu vergeben hätte (mit freundlichen Grüßen der Neel-Shah-Stiftung für Frauen in der Kunst) – wenn sie mir weiterhelfen kann.
Als ich sie im Museum treffe – im Cal Knit, wie wir Eingeweihten sagen – fühle ich eine unmittelbare Seelenverwandtschaft, denn das Cal Knit ist fast so schräg wie Penumbras Laden. Es besteht aus einem einzigen großen Raum, einer um gebauten ehemaligen Schule, die jetzt mit bunten Auslagen und kindgerechten interaktiven Funktionen ausgestattet ist. In einem großen Eimer neben der Tür stehen Stricknadeln wie in einem Waffenarsenal: dicke, dünne, manche aus buntem Plastik, andere aus Holz oder zu anthropomorphen Formen geschnitzt. Es herrscht ein durchdringender Geruch nach Wolle.
»Wie viele Besucher kommen so am Tag her?«, frage ich und inspiziere eine der Holznadeln. Sie sieht aus wie ein sehr dünner Totempfahl.
»Oh, eine Menge«, sagt sie und schiebt ihre Brille hoch. »Hauptsächlich Schüler. Gerade ist ein Bus unterwegs, darum lass uns lieber gleich anfangen.«
Sie sitzt am Empfangstresen des Museums, wo ein kleines Schild B EI W OLLSPENDEN FREIER E INTRITT verkündet. Ich krame Neels Scheck aus meiner Hosentasche und streiche ihn auf der Tischplatte glatt. Tabitha steckt ihn mit einem Grinsen ein.
»Hast du so ein Ding schon mal benutzt?«, fragt sie und drückt auf eine Taste auf einer blauen Computerkonsole. Die Maschine gibt ein helles Piepsen von sich.
»Noch nie«, sage ich. »Bis vor zwei Tagen wusste ich nicht einmal, dass es so was gibt.«
Tabitha schaut auf, und ich folge ihrem Blick: Ein Schulbus kommt um die Ecke gefahren und hält auf dem winzigen Parkplatz vor dem Museum. »Ja, also«, sagt sie, »hier ist es. Du kriegst es schon raus, wie es geht. Nur gib nicht, naja, unser Zeug an andere Museen weiter.«
Ich nicke und schlüpfe hinter den Tresen und nehme ihren Platz ein. Tabitha wuselt im Museum herum, rückt Stühle zurecht und fährt mit antiseptischen Tüchern über Plastiktische. Was mich betrifft: Der Accession Table ist gedeckt.
Der Accession Table ist, wie ich von Oliver erfahren habe, eine riesige Datenbank, die sämtliche Artefakte in sämtlichen Museen aufspürt, allerorts. Sie wird seit Mitte des
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