Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)
zwanzigsten Jahrhunderts geführt. Damals funktionierte sie noch mit Lochkarten, die herumgeschickt, kopiert, in Katalogen aufbewahrt wurden. In einer Welt, in der Artefakte immer auf Reisen sind – von der dritten Kelleretage eines Museums hin auf in die Ausstellungshalle, zu einem anderen Museum (das in Boston oder Belgien sein kann) –, ist sie unverzichtbar.
Jedes Museum der Welt verwendet den Accession Table, vom kleinsten Heimatverein bis zur reichhaltigsten nationalen Sammlung, und alle Museen verwenden einen identischen Monitor. Es ist der Bloomberg-Terminal für die Welt der Antiquitäten. Wird ein beliebiges Artefakt gefunden oder erstanden, wird es von dieser museologischen Matrix neu erfasst. Wird es je verkauft oder bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, wird die Eintragung gelöscht. Aber solange nur ein Fitzelchen einer Leinwand oder der Splitter eines Steins in irgendeiner Sammlung irgendwo weiterexisitiert, ist es weiterhin in den Büchern verzeichnet.
Der Accession Table hilft bei der Erkennung von Fälschun gen: Jedes Museum hat seinen Terminal so eingerichtet, dass er nach neuen Eintragungen Ausschau hält, die verdächtige Übereinstimmungen zu Artefakten aus seiner Sammlung aufweisen. Wenn der Accession Table Alarm anzeigt, heißt das, dass irgendwer irgendwo übers Ohr gehauen wurde.
Sollten die Gerritszoon-Patrizen in irgendeinem Museum auf der Welt existieren, hat der Accession Table sie gespeichert. Ich brauche nicht mehr als eine Minute an dem Terminal. Aber, um es deutlich zu sagen, jeder Kurator eines legitimen Museums wäre über meine Anfrage, sein Allerheiligstes benutzen zu dürfen, entsetzt. Diese Terminals bergen ja das Geheimwissen jener speziellen Sekte, die über die Museums datenbank wacht. Darum hat Oliver vorgeschlagen, ein Hintertürchen zu benutzen: ein kleines Museum mit einer Hüterin, die unserer Sache wohlwollend gegenübersteht.
Der Stuhl hinter dem Empfangstresen knarrt unter meinem Gewicht. Ich hatte mir die Hardware etwas hightech-mäßiger vorgestellt, stattdessen sieht sie selbst aus wie ein Artefakt. Der Monitor ist hellblau, nicht gerade jüngsten Jahrgangs; die Pixel glupschen hinter dickem Glas hervor. Neuzugänge aus aller Welt laufen den Bildschirmrand entlang. Es gibt Keramikteller aus dem Mittelmeerraum, japanische Samuraischwerter und Fruchtbarkeitsstatuen aus dem Mogulreich – ziemlich scharfe Statuen, sehr hüftbetont, total tantrisch – und mehr, viel mehr; es gibt alte Stoppuhren und zerbröselnde Musketen und sogar Bücher, schöne alte Bücher mit blauem Einband und einem dicken goldenen Kreuz darauf.
Wie schaffen es Kuratoren, sich nicht den ganzen Tag dem Reiz dieses Terminals hinzugeben?
Schreiende, kreischende Erstklässler strömen jetzt ins Cal Knit. Zwei Jungen greifen sich Stricknadeln aus dem Eimer neben der Eingangstür und fangen an, sich zu duellieren, dabei machen sie zischende Fechtgeräusche, die von einigem Spuckesprühen begleitet werden. Tabitha führt sie zu einer der interaktiven Installationen und beginnt mit ihrem Vortrag. Hinter ihr an der Wand hängt ein Poster, auf dem S TRICKEN IST SUPER steht.
Zurück zum Accession Table. Gegenüber den auf dem Monitor entlanglaufenden Neuzugängen sind Grafiken, die offensichtlich von Tabitha konfiguriert wurden. Sie verfolgen Zugangsaktivitäten? Innerhalb verschiedener Interessengebiete, zum Beispiel T EXTILIEN und K ALIFORNIEN und S CHENKUNGEN . T EXTILIEN ist ein gezackter und geschäftiger kleiner Gebirgszug; K ALIFORNIEN zeigt eine deutliche Aufwärtskurve, S CHENKUNGEN hat eine Nulllinie.
Okay. Wo ist das Suchfeld?
Drüben bei Tabitha wird die Wolle hervorgeholt. Erstklässler wühlen in breiten Plastikbehältern und suchen ihre Lieblingsfarben. Ein Kind fällt kreischend in einen hinein und wird von seinen zwei Freundinnen mit Nadeln gepikst.
Es gibt kein Suchfeld.
Ich drücke wahllos irgendwelche Tasten, bis das Wort V ERZEICHNIS am oberen Monitor aufscheint (F5 hat das bewirkt). Jetzt entfaltet sich eine umfangreiche, detaillierte Systematik vor meinen Augen. Irgendwer, irgendwo hat alles überall kategorisiert:
METALL, HOLZ, KERAMIK.
15. JAHRHUNDERT, 16. JAHRHUNDERT, 17. JAHRHUNDERT.
POLITISCH, RELIGIÖS, RITUELL.
Halt mal – worin besteht der Unterschied zwischen RELIGIÖS und RITUELL ? Mir schwindet der Mut. Ich fange an, bei M ETALL zu suchen, stoße aber dort nur auf Münzen und Armbänder und Angelhaken. Nicht auf Schwerter – ich glaube, die fallen
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