Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)
auch ich lachen. Vielleicht ist ja Corvinas Herrschaft gar nicht so absolut, wie sie aussieht.
»Aber du bist immer noch dran?«, frage ich.
»Obwohl die mächtigen Google-Computer nichts gefunden haben?«, sagt Deckle. »Sicher. Ich meine, hör mal. Ich habe einen Computer.« Er tippt den Deckel seines Laptops an, was bewirkt, dass die Kamera wackelt. »Das ist doch keine große Zauberkunst. Computer sind auch nur so fähig wie ihre Programmierer, oder?«
Stimmt, aber das waren ziemlich fähige Programmierer.
»Um ehrlich zu sein«, sagt Deckle, »es sind ein paar Leute abgesprungen. Ein paar von den jüngeren, Ungebundene, die gerade erst angefangen haben. Aber das ist okay. Es ist kein Vergleich zu –«
Hinter Deckle nehme ich eine verschwommene Bewegung wahr, und ein winziges Gesicht taucht hinter seiner Schulter auf und reckt den Hals, um an den Bildschirm heranzukommen. Es ist ein kleines Mädchen, und erstaunt stelle ich fest, dass sie ein Mini-Deckle ist. Sie hat sonnenhelles, langes und gelocktes blondes Haar und seine Nase. Sie ist schätzungsweise sechs.
»Wer ist das?«, fragt sie und zeigt auf den Bildschirm. So, so, Edgar Deckle sichert sich nach allen Seiten ab: Unsterb lichkeit durch Buch und Unsterblichkeit durch Blut. Ob einige von den anderen wohl auch Kinder haben?
»Das ist mein Freund Clay«, sagt Deckle und legt ihr den Arm um die Hüfte. »Er kennt Onkel Ajax. Er wohnt auch in San Francisco.«
»Ich mag San Francisco!«, sagt sie. »Ich mag Wale!«
Deckle zieht sie an sich und flüstert hörbar: »Wie machen die Wale, Schätzchen?«
Das Mädchen windet sich aus seiner Umklammerung, stellt sich auf die Zehenspitzen und macht Geräusche, die sich wie Muhen und Miauen anhören, während sie gleichzeitig langsam eine Pirouette vollführt. Es ist ihre Walimitation. Ich lache, und sie schaut mit leuchtenden Augen auf den Monitor, genießt die Aufmerksamkeit. Sie stimmt noch einmal den Walgesang an, aber diesmal wirbelt sie davon, und ihre Füße rutschen über den Küchenfußboden. Das Muh-Miauen verzieht sich ins Nebenzimmer.
Deckle lächelt und schaut ihr nach. »Also, um zur Sache zu kommen«, sagt er und wendet sich wieder mir zu: »nein: Ich kann dir nicht helfen. Ich habe Clark Moffat damals im Laden gesehen, aber nachdem er das Rätsel des Gründers ge löst hatte – innerhalb von ungefähr drei Monaten –, hat er sich direkt zum Lesesaal davongemacht. Danach habe ich ihn nicht mehr gesehen, und ich weiß definitiv nichts über sein Hörbuch. Ehrlich gesagt, ich hasse Hörbücher.«
Aber ein Hörbuch ist doch nichts anderes als eine über die Augen gezogene, flauschige Strickmüt –
»Du weißt, mit wem du reden musst, oder?«
Natürlich: »Penumbra.«
Deckle nickt. »Er hat den Schlüssel zu Moffats Codex Vitae gehütet – wusstest du das auch? Sie standen sich nahe, jedenfalls eine Zeit lang.«
»Aber ich kann ihn nicht finden«, sage ich verzagt. »Er ist wie ein Phantom.« Dann fällt mir ein, dass ich hier mit dem Lieblingsnovizen des Mannes spreche. »Warte mal – weißt du, wo er wohnt?«
»Ja«, sagt Deckle und schaut direkt in die Kamera. »Aber das werde ich dir nicht verraten.«
Meine Verzweiflung muss mir ins Gesicht geschrieben sein, denn Deckle hebt sofort die Hände und sagt: »Nein – ich schlage dir einen Tauschhandel vor. Ich habe so ungefähr gegen sämtliche Regeln verstoßen – und glaub mir, davon gibt es eine Menge – und dir außerdem, als du ihn brauchtest, den Schlüssel zum Lesesaal gegeben, stimmt’s? Jetzt kannst du was für mich tun. Im Gegenzug erzähle ich dir gern, wo du unseren Freund Mr. Ajax Penumbra findest.«
Diese berechnende Art hätte ich dem freundlichen, jovialen Edgar Deckle gar nicht zugetraut.
»Erinnerst du dich an die Gerritszoon-Schrift, die ich dir in unserer Druckerei gezeigt habe?«
»Ja, natürlich.« In der unterirdischen Druckerei. »Davon war nicht mehr viel übrig.«
»So ist es. Ich glaube, ich hatte dir erzählt, dass die Originale gestohlen wurden. Das war vor hundert Jahren, kurz nachdem wir in Amerika angekommen sind. Der Ungebrochene Buchrücken ist durchgedreht. Hat ein ganzes Heer von Detektiven angeheuert, die Polizei bestochen, den Dieb gefasst.«
»Wer war’s?«
»Einer von uns – einer der Gebundenen. Er hieß Glencoe, und sein Buch war verbrannt worden.«
»Wieso?«
»Weil man ihn in der Bibliothek beim Sex erwischt hatte«, sagt Deckle wie selbstverständlich. Dann hebt er
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