Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)
Aldrag, dem Wyrm-Vater, ist hier nicht die Rede. Er war der Drache, der als Erster gesungen hat, und er benutzte die Kraft seines Drachenlieds, um aus geschmolzenem Felsgestein die ersten Zwerge zu formen, aber darum geht es ja gar nicht – es geht darum, dass dieser Satz nicht im Buch steht.
Und was steht noch alles nicht im Buch? Was ist noch anders? Warum improvisiert Moffat?
Diese Hörbücher wurden 1987 produziert, kurz nachdem Band III erschienen war. Folglich war es auch kurz nach Clark Moffats Verstrickung mit dem Ungebrochenen Buchrücken. Mein Spinnensinn kribbelt: Es muss da eine Verbindung geben.
Aber ich kann mir auf der ganzen Welt nur drei Menschen vorstellen, die eine Ahnung haben könnten, was Moffat bezweckte. Der erste ist der schwarze Lord des Ungebrochenen Buchrückens, aber ich habe nicht das geringste Bedürfnis, mit Corvina oder einem seiner Spießgesellen bei der Festina Lente Company zu kommunizieren, über oder unter der Erde. Außerdem fürchte ich immer noch, dass meine IP-Adresse irgendwo auf einer ihrer Datenklaulisten steht.
Der zweite ist mein ehemaliger Arbeitgeber, und mit Pen umbra zu kommunizieren habe ich ein starkes Bedürfnis, weiß aber nicht, wie. Während ich hier auf dem Fußboden liege und dem Rauschen der leeren Kassette lausche, wird mir etwas sehr Trauriges bewusst: Dieser tatterige, blauäugige Mann hat mein Leben auf ziemlich verrückte Art durcheinandergewirbelt … und ich weiß über ihn nicht viel mehr als das, was vorn auf seiner Buchhandlung steht.
Es gibt eine dritte Möglichkeit. Edgar Deckle gehört zwar im Prinzip zur Corvina-Crew, aber einiges spricht für ihn:
Er ist ein bewährter Mitverschwörer.
Er bewacht die Tür zum Lesesaal, also muss er in der Hier archie der Gemeinschaft ziemlich weit oben stehen und daher Zugang zu vielen Geheimnissen haben.
Er kennt Moffat. Und, was das Wichtigste ist:
Er steht im Telefonbuch. Brooklyn.
Es scheint mir der Sache mehr Gewicht zu verleihen und dem Geist des Ungebrochenen Buchrückens zu entsprechen, ihm einen richtigen Brief zu schreiben. So etwas habe ich seit über einem Jahrzehnt nicht mehr getan. Der letzte Brief, den ich mit Tinte auf Papier verfasst habe, war eine kitschige Mitteilung an meine ferne Pseudofreundin in je ner Woche nach dem Sciencecamp, als ein rosa Schleier auf meinem Leben lag. Ich war dreizehn. Leslie Murdoch hat nie geantwortet.
Für diese neue Epistel wähle ich schweres, säurefreies Papier. Ich kaufe einen Kugelschreiber mit scharfer Spitze. Ich entwerfe meine Botschaft mit Bedacht, erkläre zuerst, was sich auf Googles leuchtenden Monitoren ereignet hat, und frage Edgar Deckle dann, was er, falls überhaupt, über Clark Moffats Hörbuchausgaben weiß. Dabei zerknülle ich sechs Bogen des säurefreien Papiers, weil ich immer wieder einzelne Wörter falsch schreibe oder verhunze. Meine Handschrift ist noch genauso grauenhaft wie damals.
Schließlich werfe ich den Brief in einen der blauen Briefkästen und hoffe das Beste.
Drei Tage später kommt eine E-Mail. Sie ist von Edgar Deckle. Er schlägt vor, dass wir skypen.
Naja, warum nicht.
An einem Sonntag, kurz nach zwölf, klicke ich das grüne Kamera-Icon an. Der Feed erwacht zum Leben, und da ist Deckle, der auf seinen Computer hinunterstarrt, die runde Nase perspektivisch leicht verkürzt. Er sitzt in einem engen, lichtdurchfluteten Raum mit gelben Wänden; ich glaube, dass irgendwo über ihm ein Dachfenster ist. Hinter seinem Wuschelhaar erkenne ich kupferne, an Haken hängende Koch töpfe und die Vorderseite eines glänzenden schwarzen Kühlschranks, der mit bunten Magneten und verblassten Zeichnungen geschmückt ist.
»Dein Brief hat mir gefallen«, sagt Deckle lächelnd und hält das säurefreie Papier hoch, das in ordentliche Drittel gefaltet ist.
»Ja, naja. Hab ich mir irgendwie gedacht. Wie auch immer.«
»Ich hatte schon gehört, was in Kalifornien passiert ist«, sagt er. »Beim Ungebrochenen Buchrücken verbreiten sich Nachrichten schnell. Ihr habt ja einen mächtigen Wirbel gemacht.«
Ich hätte gedacht, dass er deswegen verärgert ist, aber er lächelt. »Corvina musste sich einiges gefallen lassen. Die Leute waren sauer.«
»Keine Sorge, er hat alles versucht, um es zu verhindern.«
»Oh, nein – nein. Sie waren sauer, weil wir es nicht schon längst selbst probiert haben. ›Immer dürfen diese schnöseligen Emporkömmlinge bei Google die spannenden Sachen machen‹, haben sie gesagt.«
Jetzt muss
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