Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)
in den Laden …«
»Äh – vielleicht wäre es klüger, das nicht zu schreiben«, sagt Penumbra leichthin. »Sag vielleicht lieber, dass er den Anschein eines … Eilboten hatte.«
Na schön: »Heute kam ein Eilbote namens Corvina in den Laden, der –«
»Nein, nein«, unterbricht mich Penumbra. Er schließt die Augen und massiert seinen Nasenrücken. »Halt. Lass mich erst erklären, bevor du irgendetwas aufschreibst. Extrem blass, Wieselaugen, einundvierzig Jahre alt, stämmig gebaut und mit einem Bart, der ihm nicht steht, einem Einreiher aus weicher Wolle mit funktionsfähigen Knöpfen an den Ärmelenden und schwarze, spitze Lederschuhe – richtig?«
Exakt. Die Schuhe waren mir entgangen, aber Penumbras Beschreibung passt wie die Faust aufs Auge.
»Ja, natürlich. Er heißt Eric, und sein Geschenk ist ein echter Schatz.« Er schwenkt seinen Scotch. »Selbst wenn er seine Rolle ein wenig übertreibt. Das hat er von Corvina.«
»Und wer ist dann Corvina?« Es klingt komisch, es zu sagen, aber: »Er lässt Sie grüßen.«
»Natürlich«, sagt Penumbra und verdreht die Augen. »Eric bewundert ihn. Viele der Jüngeren tun das.« Er weicht meiner Frage aus. Einen Moment ist er still, dann hebt er den Blick und schaut mir in die Augen. »Wir sind hier mehr als eine Buchhandlung, wie du zweifellos geahnt hast. Wir sind zusätzlich so etwas wie eine Bibliothek, eine von vielen dieser Art auf der ganzen Welt. Es gibt eine in London, eine andere in Paris – insgesamt sind es ein Dutzend. Keine ist wie die andere, aber ihre Funktion ist überall dieselbe, und Corvina leitet sie alle.«
»Also ist er Ihr Boss.«
Penumbras Miene verdüstert sich. »Ich ziehe es vor, ihn mir als unseren Mäzen vorzustellen«, sagt er und zögert ein wenig bei jedem Wort. Das unser ist mir nicht entgangen, und ich muss lächeln. »Aber ich vermute, Corvina wäre mit deiner Bezeichnung vollkommen einverstanden.«
Ich erkläre ihm, was Eric über die Bücher in den kleinen Regalen gesagt hat – über Penumbras Ungehorsam.
»Ja, ja«, sagt er und seufzt. »Das hatten wir alles schon. So ein Unsinn. Das Geniale an den Bibliotheken ist ja, dass sie alle unterschiedlich sind. Koster in Berlin mit seinen Noten, Griboyedov in Sankt Petersburg mit seinem großartigen Samowar. Und hier in San Francisco, der erstaunlichste Unterschied von allen.«
»Nämlich?«
»Na, wir führen Bücher, die die Leute sogar lesen wollen!« Penumbra wiehert fröhlich und zeigt ein breites Grinsen. Ich lache mit.
»Also ist es keine große Sache?«
Penumbra zuckt mit den Achseln. »Es kommt darauf an«, sagt er. »Es kommt darauf an, wie ernst man einen verknöcherten alten Zuchtmeister nehmen soll, der der Ansicht ist, dass überall und immer alles vollkommen gleich sein soll.« Er hält inne. »Was mich betrifft, nehme ich ihn nicht sonderlich ernst.«
»Kommt er manchmal vorbei?«
»Nie«, sagt Penumbra heftig und schüttelt den Kopf. »Er war schon seit vielen Jahren nicht mehr in San Francisco … über ein Jahrzehnt. Nein, er ist mit anderen Aufgaben beschäftigt. Zum Glück.«
Penumbra hebt die Hand und winkt, scheucht mich vom Schreibtisch fort. »Und jetzt geh nach Hause. Du hast etwas Seltenes miterlebt, etwas, was bedeutsamer ist, als du ahnst. Dafür sei dankbar. Und trink deinen Scotch aus, mein Junge! Trink!«
Ich werfe meine Tasche über die Schulter und trinke meinen Becher in zwei tiefen Zügen aus.
»Wir heben das Glas«, sagt Penumbra, »auf Evelyn Erdos.« Er hält das leuchtende graue Buch hoch, als würde er sie ansprechen: »Willkommen, meine Freundin, und gut gemacht. Gut gemacht!«
DER PROTOTYP
I n der nächsten Nacht betrete ich wie üblich den Laden und winke Oliver Grone zur Begrüßung zu. Ich möchte ihn über Eric ausfragen, aber ich weiß nicht genau, wie ich das anstellen soll. Oliver und ich haben uns nie direkt über die Merkwürdigkeiten des Ladens unterhalten. Also probiere ich es erst einmal so:
»Oliver, ich habe eine Frage. Du weißt doch, es gibt normale Kunden?«
»Nicht viele.«
»Genau. Und dann gibt es Mitglieder, die Bücher ausleihen.«
»Wie Maurice Tyndall.«
»Genau.« Ich wusste nicht, dass er Maurice heißt. »Hast du jemals erlebt, dass jemand ein neues Buch liefert?«
Er stutzt und überlegt. Dann sagt er nur: »Nee.«
Sobald er geht, überschlagen sich alle möglichen neuen Theo rien in meinem Kopf. Vielleicht steckt Oliver da auch mit drin. Vielleicht spioniert er für Corvina.
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