Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)
drücke auf das grüne Kamerasymbol. Kat erscheint auf meinem Bildschirm, wie immer in ihrem roten BAM! -T-Shirt. »Du siehst süß aus«, sagt sie.
»Du hast dich nicht schick gemacht«, sage ich. Niemand hat sich schick gemacht.
»Ja, aber du bist auch nur ein frei schwebender Kopf«, sagt sie. »Du musst extra-cool aussehen.«
Die Buchhandlung um mich herum verschwindet langsam, und ich falle mit dem Kopf voran in Kats Wohnung – einen Ort, möchte ich betonen, den ich in der Realität noch nie besucht habe. Es ist ein geräumiges, offenes Loft, und Kat schwenkt ihren Laptop wie eine Kamera, um mir alles zu zei gen. »Das ist die Küche«, sagt sie. Gleißende Geschirrschränke mit Glastüren; ein großer Industrieherd, ein xkcd- Strichmännchen-Webcomic auf dem Kühlschrank. »Das Wohnzimmer«, sagt sie und dreht mich in die andere Richtung. Mein Bild zersetzt sich in dunkle verpixelte Streifen und fügt sich dann wieder zusammen zu einem weiten Raum mit einem großen Fernseher und langen, niedrigen Sofas. Ich erkenne Filmposter in hübschen schmalen Rahmen: Blade Runner, Planet der Affen. WALL.E . Leute sitzen im Kreis – eine Hälfte auf den Sofas, die andere auf dem Teppich – und spielen ein Spiel.
»Wer ist das?«, zwitschert eine Stimme. Meine Blickrich tung wechselt, und ich schaue in das runde Gesicht eines Mädchens mit dunklen Locken und einer klobigen dunklen Brille.
»Das ist das Experiment einer simulierten Intelligenz«, sagt Kat, »entwickelt für unterhaltsame Partygespräche. Hier, probier’s mal aus.« Sie setzt den Laptop auf die Arbeitsplatte aus Granit.
Dunkellöckchen beugt sich vor – igitt, weit vor – und kneift die Augen zusammen. »Warte mal, echt? Bist du echt?«
Kat lässt mich nicht im Stich. Es wäre einfach gewesen: den Laptop abstellen, irgendwo hingerufen werden, nicht zurückkommen. Aber nein: Eine ganze Stunde lang führt sie mich auf der Party herum, stellt mich ihren Mitbewohnern (darunter Dunkellöckchen) und ihren Freunden von Google vor.
Sie trägt mich ins Wohnzimmer, und wir setzen uns zu den anderen in den Kreis. Das Spiel heißt »Verräter«, und ein dünner Typ mit einem Fitzelbärtchen über der Oberlippe beugt sich vor, um mir zu erklären, dass es ursprünglich vom KGB erfunden und in den Sechzigerjahren von allen Geheimagenten gespielt wurde. Es geht darum, möglichst gut zu lügen. Man bekommt eine bestimmte Rolle zugewiesen, muss aber die Gruppe überzeugen, dass man eine komplett andere Person ist. Die Rollen stehen auf Spielkarten, und Kat hält mir meine in die Kamara.
»Das ist unfair«, sagt ein Mädchen auf der anderen Seite des Kreises. Ihr Haar ist so hell, dass es fast weiß aussieht. »Er ist uns gegenüber im Vorteil. Wir sehen ja seine Mimik gar nicht richtig.«
»Du hast total recht«, sagt Kat stirnrunzelnd. »Und zufällig weiß ich, dass er Paisleyhosen trägt, wenn er blufft.«
Wie auf Stichwort kippe ich meinen Laptop so, dass sie meine Hosen sehen können, und das Gelächter ist so laut, dass die Lautsprecher knistern und rückkoppeln. Ich lache auch und gieße mir noch ein Bier ein. Ich trinke hier im Laden aus einem roten Partybecher. Alle paar Minuten werfe ich einen Blick zur Tür, und ein Dolch aus Angst fährt mir ins Herz, doch wird der Stich von einem Puffer aus Adrenalin und Alkohol gedämpft. Es werden keine Kunden kommen. Es kommen nie welche.
Es folgt eine Unterhaltung mit Kats Freund Trevor, der auch bei Google arbeitet, und nun durchbohrt eine andere Art Dolch meinen Schutzpanzer. Trevor erzählt eine ellenlange Geschichte über eine Reise in die Antarktis (was für ein Mensch fährt in die Antarktis?), und Kat beugt sich interessiert zu ihm. Es wirkt beinahe magnetisch, aber vielleicht steht ja nur ihr Laptop in einem ungünstigen Winkel. Nach und nach driften die anderen weg, und Trevor hat Kats ungeteilte Aufmerksamkeit. Ihre Augen leuchten, und sie nickt, während sie seiner Erzählung folgt.
Krieg dich ein. Es hat nichts zu bedeuten. Es ist einfach eine gute Story. Sie ist ein bisschen betrunken. Ich bin ein bisschen betrunken. Allerdings weiß ich nicht, ob Trevor betrunken ist oder ob er –
Das Glöckchen klingelt. Mein Blick schnellt nach oben. Scheiße. Kein einsamer, spätnächtlicher Besucher, der nur mal ein bisschen in den Büchern stöbern will, oder irgendjemand, den ich getrost ignorieren kann. Sondern ein Klubmitglied: Ms. Lapin. Sie ist die einzige (mir bekannte) Frau, die Titel aus
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