Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)
interessanteste Mann in ganz San Francisco. Keiner von beiden wird von der Kamera erfasst, darum vermute ich, dass sie seinen Arm berührt.
»Hey, Leute«, sage ich. »Hey, Leute.«
Ich stelle fest, dass auch ich auf stumm gestellt wurde.
Plötzlich komme ich mir sehr blöd vor und finde, dass das Ganze eine absolut bescheuerte Idee war. Eine Party in Kats Wohnung hat doch nur den einen Sinn, dass ich es bin, der eine komische Geschichte erzählt, und Kat meinen Arm berührt. Stattdessen hat diese Übung in Telepräsenz überhaupt keinen Sinn, und wahrscheinlich lachen mich gerade alle aus und schneiden dem Laptop Grimassen, gleich neben der Kamera. Mein Gesicht brennt. Ob sie das erkennen können? Nehme ich auf dem Monitor eine seltsame rote Färbung an?
Ich stehe auf und entferne mich vom Auge der Kamera. Erschöpfung schwappt in mein Hirn. Ich habe in den vergangenen zwei Stunden eine wenig überzeugende Vorfüh rung hingelegt, wie mir jetzt bewusst wird – als grinsende Marionette in einem Proszenium aus Aluminium. Was für ein Fehler.
Ich drücke meine Handflächen auf die großen Schaufens ter der Buchhandlung und schaue durch den Käfig aus großen goldenen Lettern hinaus. Es ist tatsächlich die Gerritszoon-Schrift, und sie ist ein Stückchen vertrauter Eleganz an diesem einsamen Ort. Die Kurve des P ist wunderschön. Mein Atem beschlägt das Glas. Verhalte dich ganz normal, sage ich mir. Geh einfach zurück und verhalte dich ganz normal.
»Hallo?«, flötet eine Stimme aus meinem Laptop. Kat.
Ich schlüpfe wieder an meinen Platz hinter dem Schreibtisch. »Hi.«
Trevor ist fort. Kat ist allein. Sie ist jetzt sogar ganz woanders.
»Das ist mein Zimmer«, sagt sie sanft. »Gefällt’s dir?«
Es ist spartanisch eingerichtet, kaum mehr als ein Bett und ein Schreibtisch und ein schwerer schwarzer Koffer. Es sieht aus wie eine Kabine auf einem Ozeandampfer. Nein: wie die Kapsel in einem Raumschiff. In der Ecke steht ein weißer Wäschekorb aus Plastik, um den sich ringsum – Beinahetreffer – ein Dutzend identischer roter T-Shirts verteilen.
»Das war meine Theorie«, sage ich.
»Ja«, sagt Kat, »ich habe beschlossen, dass ich keine Hirn windungen darauf verschwenden will« – sie gähnt –, »mir jeden Morgen zu überlegen, was ich anziehe.«
Der Laptop schaukelt und das Bild verschwimmt, und dann sind wir auf ihrem Bett, und sie stützt den Kopf auf ihre Hand, und ich kann die Wölbung ihrer Brust sehen. Mein Herz schlägt plötzlich sehr schnell, als wäre ich bei ihr, ausgestreckt und erwartungsvoll – nicht, als würde ich hier im trüben Licht dieser Buchhandlung sitzen und immer noch meine Paisleyhosen anhaben.
»Das hat ziemlich Spaß gemacht«, sagt sie leise, »aber ich wünschte, du wärst richtig dabei gewesen.«
Sie rekelt sich und kneift die Augen zu wie eine Katze. Mir fällt nichts ein, was ich jetzt sagen könnte, darum lege ich nur mein Kinn auf meine Handfläche und schaue in die Kamera.
»Es wäre schön, wenn du hier wärst«, murmelt sie. Dann schläft sie ein. Ich bin allein im Laden, schaue über die Stadt hinweg auf ihre schlafende Gestalt, die nur vom grauen Licht ihres Laptops beschienen wird. Bald schläft auch er ein, und der Bildschirm wird schwarz.
Die Party ist aus, ich bin allein im Laden und mache meine Hausaufgaben. Ich habe meine Wahl getroffen: Vorsichtig ziehe ich Logbuch VII (alt, aber nicht zu alt) aus dem Regal und mache die Referenzbilder für Mat: Weitwinkel- und Nahaufnahmen, mit meinem Handy aus Dutzenden von Perspektiven aufgenommen, die alle dasselbe breite, flache Rechteck aus lädiertem Braun zeigen. Ich knipse Detailaufnahmen vom Lesezeichen, vom Einband, von den blassgrauen Seiten und dem über dem Symbol des Ladens tief in den Vorderdeckel eingeprägten N ARRATIO , und als Penumbra am Morgen eintrifft, steckt mein Handy wieder in der Hosentasche, und die Fotos sind unterwegs zu Mats Mailbox. Jedes Mal, wenn eins abgeht, macht es leise wusch .
Das aktuelle Logbuch habe ich auf dem Schreibtisch liegen lassen. Ich werde es ab jetzt immer so halten. Ich meine, warum es andauernd ins Regal stellen? Das klingt nach Rücken schmerzen, wenn Sie mich fragen. Mit etwas Glück wird das Verfahren Schule machen und einen neuen Hauch von Normalität, in deren Schatten ich mich ducken und verstecken kann, in den Laden bringen. So was machen Spione doch, oder? Sie gehen in die Bäckerei und kaufen jeden Tag einen Laib Brot – vollkommen
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