Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)
stehen beide auf der Feuerleiter, die ein hohes metallisches Jammern von sich gibt, sobald einer von uns das Gewicht verlagert. Vor uns ist ein breites Fenster aus altem Glas, das in zerfressenes und verwittertes Holz eingelassen ist. Ich rüttle einmal daran, aber es gibt nicht nach. Oliver beugt sich vor, gibt ein leises, intellektuelles Grunzen von sich, und mit einem Plopp und einem Kreischen fliegt es sperrangelweit auf. Ich werfe einen Blick hinunter zum Barkeeper in der Gasse. Er ignoriert uns mit der Disziplin eines Mannes, dessen Job dies oft erfordert.
Wir hüpfen durch den Fensterrahmen in die Dunkelheit von Penumbras Büro im ersten Stock.
Es folgt Stöhnen und Scharren und ein laut gezischtes Aua!, dann findet Oliver einen Schalter. Orangefarbenes Licht ergießt sich aus einer Lampe, die auf einem breiten Schreibtisch steht und unsere Umgebung offenbart.
Penumbra ist ein viel größerer Nerd, als er durchblicken lässt.
Der Schreibtisch biegt sich unter der Last etlicher Computer, von denen keiner nach 1987 hergestellt wurde. Es gibt einen alten TRS -80, der an einen klobigen braunen Fernseher angeschlossen ist. Es gibt einen länglichen Atari und einen IBM-PC . Es gibt lange Kästen voller Disketten und Stapel dicker Handbücher, deren Titel in fetter Blockschrift aufgedruckt sind:
A NGSTFREI MIT A PPLE
B ETRIEBSOPTIMIERUNG MIT B ASISPROGRAMMEN
V ISICALC FÜR U NTERNEHMEN
Neben dem PC steht ein breiter Metallkasten, auf dessen Oberseite sich zwei Gummimulden befinden. Neben dem Kasten steht ein altes Telefon mit Drehscheibe und einem langen, geschwungenen Hörer. Ich glaube, der Kasten ist ein Modem, vermutlich das urälteste Exemplar auf der ganzen Welt; wenn man ins Internet will, stöpselt man den Hörer in die Gummimulden, als würde der Computer im wahrsten Wortsinn telefonieren. Ich persönlich habe so ein Ding noch nie gesehen, habe darüber nur höhnische Bemerkungen nach dem Motto »Man fasst es nicht, wie unsäglich umständlich das damals war« gelesen. Es haut mich um, denn es bedeutet, dass sich Penumbra irgendwann in seinem Leben mal auf Zehenspitzen in den Cyperspace vorgewagt hat.
An der Wand hinter dem Schreibtisch hängt eine Welt karte, eine sehr große und sehr alte. Darauf gibt es kein Kenia, kein Simbabwe, kein Indien. Alaska ist eine große leere Fläche. Funkelnde Stecknadeln sind ins Papier gepinnt. Sie stecken in London, Paris und Berlin. Sie stecken in Sankt Petersburg, Kairo und Teheran. Es gibt weitere – und sie bezeichnen sicherlich die Buchläden, die kleinen Bibliotheken.
Während Oliver einen Stapel Unterlagen durchwühlt, werfe ich den PC an. Der Schalter gibt beim Umlegen ein lautes Klacken von sich, und der Computer erwacht rumpelnd zum Leben. Er hört sich an wie ein startendes Flugzeug; ein lautes Brüllen, dann ein Kreischen, dann ein Stakkato aufeinanderfolgender Piepssignale. Oliver dreht sich ruckartig zu mir um.
»Was machst du da?«, flüstert er.
»Ich suche Hinweise, genau wie du.« Ich weiß nicht, warum er flüstert.
»Und wenn da schräges Zeug drauf ist?«, sagt er, immer noch im Flüsterton. »Pornos und so.«
Der Computer hat eine Aufforderung in Form einer Befehlszeile zustande gebracht. Das ist in Ordnung; das schaffe ich. Wenn man Websites bearbeitet, tauscht man sich mit entlegenen Servern aus, auf eine Weise, die sich seit 1987 nicht sonderlich verändert hat, darum denke ich an NewBagel zurück und tippe ein paar sondierende Instruktionen ein.
»Oliver«, sage ich gedankenverloren, »hast du Erfahrung mit digitaler Archäologie?«
»Nein«, sagt er, tief über Schubfächer gebeugt, »ich lass mehr oder weniger die Finger von allem, was nach dem zwölften Jahrhundert kommt.«
Die winzige Festplatte des PC ist vollgepackt mit Textdateien, die unergründliche Namen tragen. Als ich eine näher betrachte, kommt mir ein Gewusel aus Schriftzeichen entgegen. Das heißt also entweder, es sind unverarbeitete Daten, oder sie wurden verschlüsselt oder … ja. Es ist ein Buch aus der Ladenhüterabteilung, eins von denen, die Lapin C odices Vitae genannt hat. Ich glaube, Penumbra hat sie in seinen PC transkribiert.
Es gibt ein Programm namens E ULERVERFAHREN . Ich tippe es ein, hole tief Luft und … der PC piepst protestierend auf. In leuchtend grünen Buchstaben teilt er mir mit, dass der Code Fehler enthält – viele Fehler. Das Programm läuft nicht. Vielleicht ist es nie gelaufen.
»Sieh dir das mal an«, sagt Oliver am anderen
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