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Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)

Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)

Titel: Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Sloan
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an. Er hat einen leicht federnden Gang.
    Mein Spinnensinn erwacht, und siehe da, Rundnase bleibt an der Tür des Ungebrochenen Buchrückens stehen und ruckelt mit einem Schlüssel im Schloss herum, dann tritt er vorsichtig ein. Ein kleines Zwillingspaar von Wandlampen rechts und links der Tür erwacht zum Leben.
    Ich tippe Kat auf die Schulter und zeige auf die brennenden Lampen. Neel kneift die Augen zusammen. Penumbras Zug trifft um 12.01 Uhr in der Penn Station ein, und bis dahin werden wir warten und beobachten.
    Nach Rundnase passiert ein schmales, aber stetes Rinnsal von unglaublich normal aussehenden New Yorkern den dunklen Eingang. Es kommen ein Mädchen in weißer Bluse und schwarzem Bleistiftrock, ein Mann in mittleren Jahren in einem schmutzig grünen Pullover, ein Kerl mit rasiertem Schä del, der aussieht, als würde er sich bei Anatomix wohlfühlen. Das sollen alles Mitglieder des Ungebrochenen Buchrückens sein? Irgendwie passt das nicht.
    Neel flüstert: »Vielleicht sprechen sie hier eine andere demografische Zielgruppe an. Jünger. Raffinierter.«
    Es gibt natürlich weitaus mehr New Yorker, die nicht durch den dunklen Eingang gehen. Auf den Bürgersteigen zu beiden Seiten der Fifth Avenue wimmelt es von ihnen, ein Strom aus Menschenwesen, großen und kleinen, jungen und alten, coolen und uncoolen. Dichte Fußgängerklumpen driften an uns vorbei und versperren mir die Sicht. Kat ist fasziniert.
    »So wenig Platz und trotzdem so viele Leute«, sagt sie, während sie die vorbeiziehenden Menschenscharen beobachtet. »Sie sind wie … Fische. Oder Vögel oder Ameisen, ich weiß nicht. Irgendein Superorganismus.«
    Neel schaltet sich ein. »Wo bist du aufgewachsen?«
    »In Palo Alto«, sagt sie. Von dort nach Stanford und dann zu Google: Für ein Mädchen, das von den erweiterbaren Dimensionen menschlicher Möglichkeiten dermaßen besessen ist, ist Kat nicht gerade viel herumgekommen.
    Neel nickt verständnisvoll. »Das Provinzgemüt kann die zunehmende Komplexität eines New Yorker Bürgersteigs nicht erfassen.«
    »Da bin ich mir nicht sicher«, sagt Kat und macht kleine Augenschlitze. »Ich bin ziemlich gut im Umgang mit Komplexität.«
    »Ich weiß genau, was du denkst«, sagt Neel und schüttelt den Kopf. »Du denkst, das ist nichts weiter als eine pro grammbasierte Simulation und alle hier folgen einem ziemlich einfachen Regelwerk« – Kat nickt – »und du brauchst nur diese Regeln zu durchschauen, um ein Modell davon anzufertigen. Du kannst die Straße simulieren, dann das Viertel, dann die ganze Stadt, stimmt’s?«
    »Genau. Ich meine, sicher, ich kenne die Regeln noch nicht, aber ich könnte experimentieren und sie herauskriegen, und dann wäre es ein Leichtes –«
    »Falsch«, sagt Neel und hupt wie ein Gameshow-Buzzer. »Es geht nicht, selbst wenn du die Regeln kennst – es gibt übrigens keine –, aber selbst, wenn es welche gäbe, kann man kein Muster erstellen. Weißt du, wieso?«
    Mein bester Freund und meine Freundin fetzen sich über Simulationen. Ich kann mich nur zurücklehnen und zuhören.
    Kat runzelt die Stirn. »Wieso?«
    »Weil du nicht genügend Speicherkapazität hättest.«
    »Ach, hör doch auf –«
    »Nix da. Du könntest das nie alles speichern. Kein Computer wäre groß genug. Nicht mal euer Kasten, wie heißt er noch gleich –«
    »Unsere Big Box.«
    »Genau die meine ich. Sie ist nicht groß genug. Diese Box hier« – Neel breitet die Arme aus, sodass sie den Bürgersteig, den Park, die dahinterliegenden Straßen umfassen – »ist größer.«
    Die wogende Menge drängt weiter voran.
    Neel langweilt sich und läuft die Straße hinunter zum Met, wo er antike Marmorbrüste für sein Archiv fotografieren will. Kat schreibt mit den Daumen kurze und dringliche Textnachrichten an andere Googler, um die neuesten Gerüchte über das neue Produktmanagement zu ergattern.
    Um 11.03 Uhr wankt eine gebückte Gestalt in einem langen Mantel über das Trottoir. Mein Spinnensinn meldet sich wieder; ich bilde mir ein, inzwischen eine bestimmte Form von Seltsamkeit mit labortechnischer Präzision peilen zu können. Der gebückt Wankende hat ein Gesicht wie eine alte Schleiereule, trägt eine Kosakenmütze aus schwarzem Fell, tief über die borstigen, wild wuchernden Augenbrauen gezogen. Und tatsächlich: Er taucht ein in den dunklen Türeingang.
    Um 12.17 Uhr fängt es schließlich an zu regnen. Wir sind von den hohen Bäumen geschützt, aber die Fifth Avenue verdüstert

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