Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)
habe von der Sache mit dem Laden gehört«, sagt er schwer atmend und setzt sich neben Kat auf die Couch. Vorsichtig schiebt er seine Kapuze herunter. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Das ist furchtbar. Ich werde mit Corvina sprechen. Ich kann ihn überzeugen –«
Penumbra hebt die Hand, dann erzählt er Deckle alles. Er erzählt ihm von meinem Logbuch, von Google und dem Rätsel des Gründers. Er erzählt ihm von dem Vorschlag, den er Corvina gemacht hat, und dass der Erste Leser ihn ablehnte.
»Wir werden ihn bearbeiten«, sagt Deckle. »Ich werde es hin und wieder erwähnen und ausloten, ob er –«
»Nein«, unterbricht ihn Penumbra. »Er ist taub gegenüber vernünftigen Argumenten, Edgar, und mir fehlt die Geduld dafür. Ich bin ein ganzes Stück älter als du, mein Junge. Ich bin überzeugt, dass der Codex Vitae heute entschlüsselt werden kann – nicht erst in zehn Jahren, nicht erst in hundert Jahren, sondern heute!«
Mir kommt der Gedanke, dass Corvina nicht der Einzige mit einem übersteigerten Selbstvertrauen ist. Penumbra glaubt wirklich, dass Computer zaubern können. Ist es nicht merkwürdig, dass ich, der ich dieses Projekt befeuert habe, nicht halb so optimistisch bin?
Deckle macht große Augen. Er schaut sich um, als säßen hier im Northbridge überall Schwarzroben. Die Gefahr ist nicht sehr groß; ich bezweifle, dass irgendjemand in dieser Lobby während der letzten Jahre ein echtes Buch angefasst hat.
»Das meinen Sie nicht im Ernst, Sir«, flüstert er. »Ich meine, ich kann mich erinnern, wie aufgeregt Sie waren, als ich alle Titel für Sie in den Mac eingegeben habe – aber ich hätte nie gedacht …« Er schluckt. »Sir, so funktioniert die Gemeinschaft nicht.«
Also war es Edgar Deckle, der die Datenbank des Ladens aufgebaut hat. Ich verspüre so etwas wie eine kollegiale Zuneigung. Wir haben beide unsere Finger in dieselbe kleine, klackernde Tastatur gehauen.
Penumbra schüttelt den Kopf. »Es erscheint einem nur merkwürdig, weil wir auf der Stelle treten, mein Junge«, sagt er. »Corvina hat uns die ganze Zeit blockiert. Der Erste Leser ist dem Geist von Manutius untreu geworden.« Seine Augen sind wie blaue Laserstrahlen, und er pocht mit einem langen Finger auf den Tonspulendosentisch. »Manutius war ein Neuerer, Edgar!«
Deckle nickt, wirkt aber immer noch nervös. Seine Wangen sind gerötet, und er rauft sich das Haar. Beginnen alle Kirchenspaltungen so? Mit Leuten, die ihre Köpfe zusammenstecken und andere im Flüsterton zu überzeugen versuchen?
»Edgar«, sagt Penumbra ruhig, »von all meinen Schülern bist du mir der liebste. Wir haben in San Francisco viele Jahre Seite an Seite gearbeitet. Du besitzt den wahren Geist des Ungebrochenen Buchrückens, mein Junge.« Er hält inne. »Leih uns für eine Nacht den Schlüssel zum Lesesaal. Mehr verlange ich nicht. Clay wird keine Spuren hinterlassen. Das verspreche ich dir.«
Deckle schaut ihn ausdruckslos an. Sein feuchtes Haar ist zerzaust. Er ringt nach Worten: »Sir. Ich hätte nicht gedacht, dass Sie – nie im Traum wäre mir eingefallen – Sir.« Er verstummt. Die Lobby des Northbridge existiert nicht. Das ganze Universum besteht nur noch aus Edgar Deckles Gesicht und seinen nachdenklich geschürzten Lippen und den Anzeichen, dass er Nein sagen könnte, oder –
»Ja.« Er richtet sich auf. Er holt tief Luft und sagt noch einmal: »Ja. Natürlich helfe ich Ihnen, Sir.« Er nickt heftig und lächelt. »Natürlich.«
Penumbra grinst. »Ich wußte doch, ich habe ein Händchen für die richtigen Verkäufer«, sagt er und beugt sich vor, um Deckle auf die Schulter zu klopfen. Er lacht schallend. »Dafür habe ich ein Händchen!«
Der Plan steht.
Deckle wird morgen einen Ersatzschlüssel in einem zugeklebten, an mich adressierten Umschlag vorbeibringen und an der Rezeption des Northbridge abgeben. Neel und ich werden einen Weg finden, einen GrumbleGear zu bauen, Kat will im New Yorker Büro von Google vorbeischauen und Pen umbra sich mit einer Handvoll Schwarzroben treffen, die für seine Mission offen sind. Bei Einbruch der Nacht werde ich mich mit Scanner und Schlüssel auf den Weg zur Geheimbibliothek des Ungebrochenen Buchrückens machen, wo ich M ANVTIVS stibitzen werde – und noch etwas anderes.
Aber das ist alles erst morgen. Im Moment hat sich Kat auf unser Zimmer zurückgezogen. Neel trifft sich mit ein paar von seinen New Yorker Start-up-Kumpeln. Penumbra sitzt allein an der Hotelbar, hält
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