Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)
betrübliche Merkmale offenbart, aber Kürze gehört nicht dazu. Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, seit ich mit dem Studium begonnen habe, und wie eine ganze techno-soziale Epoche, seit ich nach San Francisco gezogen bin. Ich bin damals mit meinem Handy noch nicht mal ins Internet gekommen.
»Jeden Tag lernt man etwas wahnsinnig Faszinierendes dazu«, sagt Kat, »zum Beispiel, dass es in New York eine geheime unterirdische Bibliothek gibt« – sie setzt ein erstaunt glotzendes Gesicht auf und bringt mich damit zum Lachen –, »und es wird einem klar, dass noch so wahnsinnig viel mehr auf einen wartet. Achtzig Jahre reichen nicht aus. Oder hundert. Was auch immer. Sie reichen einfach nicht.« Ihre Stimme klingt leicht heiser, und ich merke, wie wichtig Kat Potente diese Sache ist.
Ich beuge mich zu ihr hinunter, küsse sie auf eine Stelle über dem Ohr und flüstere: »Würdest du dir wirklich den Kopf einfrieren lassen?«
»Ich würde mir absolut, hundertprozentig den Kopf einfrieren lassen.« Sie schaut mich ernst an. »Und deinen gleich mit. In tausend Jahren wärst du mir dankbar.«
POP-UP
A ls ich am nächsten Morgen aufwache, ist Kat schon unterwegs zum New Yorker Büro von Google. Auf meinem Laptop wartet eine E-Mail – eine Nachricht, die mir aus Grumbles Forum zugestellt wurde. Das Zeitstempelprotokoll gibt 3:05 an, und sie stammt von – ja Wahnsinn. Sie stammt von Grumble persönlich. Sie lautet schlicht:
größer als potter, ach ja? sag mir, was du brauchst.
Mein Puls hämmert in meinen Ohren. Das ist total abgefahren.
Grumble lebt in Berlin, aber er scheint die meiste Zeit auf Reisen zu verbringen, in London oder Paris oder Kairo, und sich speziellen Datenscan-Einsätzen zu widmen. Vielleicht ja auch manchmal in New York. Niemand kennt seinen richtigen Namen oder hat ihn je gesehen. Er könnte auch eine Sie sein oder sogar ein Kollektiv. In meiner Vorstellung aber ist Grumble männlich und nicht viel älter als ich. In meiner Vorstellung arbeitet er allein – schlurft in einem bauschigen grauen Parka in die British Library und trägt die Pappteile seines Buchscanners wie eine kugelsichere Weste unter seinen Klamotten –, hat aber überall Verbündete.
Vielleicht treffen wir uns ja einmal. Vielleicht werden wir Freunde. Vielleicht werde ich sein Hackerlehrling. Aber ich muss aufpassen, sonst denkt er wahrscheinlich, ich komme vom FBI oder, noch schlimmer, von der Festina Lente Company. Darum schreibe ich:
Hey Grumble! Vielen Dank für die Antwort, Mann. Bin ein großer Fan deiner –
Okay, so nicht. Ich drücke auf »entfernen« und fange noch mal von vorn an:
Hey. Wir können die Kameras und den Karton beschaffen, aber wir finden keinen Laser. Kannst du helfen? P. S. Okay, zugegeben, J. K. Rowling ist eine ziemlich große Nummer … aber das war Aldus Manutius auch.
Ich drücke auf »senden«, klappe mein MacBook zu und ver ziehe mich ins Bad. Ich denke an Hackerhelden und eingefrorene Köpfe, während ich mir unter dem heißen Industriestrahl der Northbridge-Dusche, die eindeutig für Roboter, nicht für Menschen gemacht wurde, Shampoo ins Haar massiere.
Neel wartet in der Lobby auf mich. Er hat gerade eine Schale Haferbrei ohne alles aufgegessen und schlürft einen Grünkohl-Shake.
»Hey«, sagt er, »hat dein Zimmer auch ein biometrisches Schloss?«
»Nein, nur einen Kartenschlüssel.«
»Meins ist angeblich in der Lage, mein Gesicht zu erkennen, aber es hat mich nicht reingelassen.« Er schaut griesgrämig. »Ich glaube, es funktioniert nur bei Weißen.«
»Du solltest deinen Freunden eine bessere Software verkaufen«, sage ich. »Ins Hotelfach expandieren.«
Neel verdreht die Augen. »Genau. Ich glaub bloß nicht, dass ich in noch mehr Märkte expandieren will. Habe ich dir erzählt, dass ich eine E-Mail von Homeland Security bekommen habe?«
Ich erstarre. Hat das irgendwas mit Grumble zu tun? Nein, das wäre ja lächerlich. »Meinst du vor Kurzem?«
Er nickt. »Sie wollen eine App, mit der sie verschiedene Körpertypen unter dicker Kleidung erkennen können. Burkas und so.«
Okay, uff. »Und, machst du es?«
Er verzieht das Gesicht. »Spinnst du. Selbst wenn es keine so krasse Idee wäre – und das ist sie –, mach ich jetzt schon zu viel.« Er schlürft an seinem Shake und befördert einen Zylinder aus hellgrüner Flüssigkeit durch den Strohhalm.
»Da stehst du doch drauf«, ziehe ich ihn auf. »Du hast doch am liebsten deine Finger in elf verschiedenen
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