Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)
außerdem (da war ich mir ziemlich sicher) steckte in diesem Buch auch etwas, was zu dechiffrieren sich tatsächlich lohnen würde. Ich habe Kat eine SMS mit einer entsprechenden Anfrage geschickt, und ihre Antwort war knapp und unmissverständlich: Nein . Dreizehn Sekunden später: Auf keinen Fall. Nach weiteren sieben: Dieses Projekt ist durch.
Kat war unendlich enttäuscht gewesen, als die Große Entschlüsselung schiefging. Sie hatte wirklich geglaubt, dass uns in diesem Text eine tiefe Wahrheit erwartete; sie hatte gewollt, dass es eine tiefe Wahrheit gäbe. Jetzt stürzte sie sich in ihre Arbeit beim PM und ignorierte mich weitgehend. Außer natürlich, um mir mitzuteilen: Auf keinen Fall .
Aber wahrscheinlich war es besser so. Die Doppelseiten auf meinem Laptop-Monitor – schwere Gerritszoon-Glyphen, vom Blitzlicht der GrumbleGear-Kameras grell angestrahlt – verursachten mir nach wie vor ein mulmiges Gefühl. Penumbra erwartete, dass sein Codex Vitae nicht vor seinem Tod gele sen würde. Ich entschied mich dagegen, das Lebensbuch eines Mannes zu knacken, nur um seine Adresse herauszufinden.
Nachdem mir die genialen Einfälle ausgegangen waren, versuchte ich es bei Tyndall und Lapin und Fedorov. Auch sie hatten nichts von Penumbra gehört. Sie bereiteten sich alle auf ihren Umzug an die Ostküste vor, um beim Ungebrochenen Buchrücken in New York unterzuschlüpfen und sich dort Corvi nas Kettensklaven anzuschließen. Wenn Sie mich fragen, ist es ein sinnloses Unterfangen: Wir haben Manutius’ Codex Vitae nach allen Regeln der Kunst auseinandergenommen und in seine kleinsten Kleinteile zerlegt. Im besten Fall gründet sich die Ge meinschaft auf eine falsche Hoffnung, im schlimmsten auf eine Lüge. Tyndall und die anderen können dieser Wahrheit noch nicht ins Auge sehen, aber irgendwann werden sie es müssen.
Falls sich das alles ziemlich bitter anhört: Das ist es. Es geht mir miserabel, denn verfolgt man das Ganze Schritt für Schritt zurück, kommt man an der Tatsache nicht vorbei, dass es meine Schuld ist.
Meine Gedanken schweifen ab. Ich habe viele Nächte gebraucht, um wieder an diese Stelle zu gelangen, aber Moffat nähert sich jetzt dem Ende von Band II . Ich habe mir noch nie im Leben ein Audiobuch angehört und muss sagen, es ist eine komplett andere Erfahrung. Wenn man ein Buch liest, spielt sich die Geschichte definitiv im Kopf ab. Wenn man sie hört, spielt sie sich irgendwie in einer kleinen Wolke ab, die den Kopf umgibt, wie eine flauschige Strickmütze, die man sich bis über die Augen gezogen hat:
»Das goldene Horn des Griffo ist elegant geschwungen«, sagte Zenodotus und zog mit dem Finger die Rundung von Telemachs Kleinod nach. »Und der Zauber liegt allein in seiner Herstellung. Verstehst du das? Hier ist keine Hexerei im Spiel – zumindest kann ich keine feststellen.«
Moffats Zenodotus-Stimme ist ganz anders, als ich erwartet hätte. Statt des satten, dramatischen Dröhnens eines Zauberers klingt sie schneidend und steril. Es ist die Stimme eines magischen Unternehmensberaters.
Fernwens Augen weiteten sich erstaunt. Hatten sie nicht soeben einen Sumpf voll unzähliger Schrecken bezwungen, um diese verzauberte Trompete wieder in ihren Besitz zu bringen? Und jetzt behauptete der Erste Zauberer, sie besäße keinerlei magische Kräfte?
»Magie ist nicht die einzige Kraft auf dieser Welt«, sagte der alte Zauberer sanft und händigte das Horn seinem königlichen Besitzer aus. »Griffo hat ein so perfektes Instrument geschaffen, dass selbst die Toten auferstehen müssen, um seinen Ruf zu hören. Er hat es mit den Händen gefertigt, ohne Zauber oder Drachenlieder. Ich wünschte, auch ich könnte so etwas zustande bringen.«
So, wie Moffat das liest, kann ich die böse Absicht in der Stimme des Ersten Zauberers heraushören. Es ist ganz klar, was jetzt kommen muss:
»Selbst Aldrag, der Wyrm-Vater, w äre neidisch auf ein solches Instrument.«
Moment mal, was?
Bisher war jedes Wort aus Moffats Mund eine willkommene Wiederholung. Seine Stimme war eine Nadel, die gemütlich holpernd auf einer großen Rille in meinem Hirn entlanggefahren ist. Aber diesen Satz – diesen Satz habe ich noch nie gehört.
Dieser Satz ist neu.
Mein Finger ist fast schon auf der Pausentaste vom Walkman, aber andererseits möchte ich die Aufnahme für Neel nicht vermasseln. Stattdessen trabe ich schnell in mein Zimmer und ziehe Band II aus dem Regal. Ich blättere zum Ende vor, und richtig: Von
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