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Die Sonne war der ganze Himmel

Die Sonne war der ganze Himmel

Titel: Die Sonne war der ganze Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Powers
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okay ist, gehe ich jetzt nach unten und schlafe dort.«
    »Ja, in Ordnung.«
    Ich war immer noch ziemlich blau und wie benebelt. Ich trat hinter die Bar, fand eine Whiskeyflasche. Ich setzte mich auf den Boden und trank sie aus, obwohl ich todmüde war. Auf der anderen Straßenseite ging die Sonne hinter einem schmalen Kanal auf, und ich fragte mich, ob das Wasser kalt war.

    Der Morgen graute, als ich erwachte. Die Straßenlaternen waren noch an. Ich hatte einen bitteren Geschmack im Mund, wusste nicht, wo ich war. Mein Kopf dröhnte. Meine Hände waren eiskalt, und ich begriff, dass ich mit dem Gesicht nach unten am Rand des Kanals lag, die Hände im Wasser. Es war glatt und glasig und regte sich nur dort, wo ich meine Hände bewegte. Ich zog sie heraus und setzte mich auf und rieb sie, um die Durchblutung anzuregen. Wie spät mochte es sein?
    Das Haus befand sich genau gegenüber. Die Frauen standen wie müde Karyatiden im Eingang, jede gegen eine der Säulen gelehnt, von denen die Farbe abblätterte. Sie rührten sich auch dann noch nicht, als ich auf die Beine kam und mich zu ihnen umdrehte. Sie wirkten wie Figuren auf einem Gemälde.
    »Wo ist das Mädchen?«, rief ich.
    Sie blieben reglos stehen, dann wandten sie sich ab und gingen hinein. Drinnen herrschte Stille, jedenfalls kam es mir so vor, und ich starrte das Haus an, bis ich merkte, dass der Tag dämmerte.

    Bei meiner Rückkehr auf der Basis war der Lieutenant sauer. Er schrie mich nicht an, sondern sagte nur: »Waschen Sie sich, Bartle.« Das tat ich. Danach zog ich eine saubere Uniform und eine frische Feldjacke an und schlief auf einer Bank im Terminal ein. Nur ein paar Militärpolizisten und Offiziere waren noch wach.
    Ich schreckte aus dem Schlaf, weil mich jemand an der Schulter schüttelte, erst sanft, dann kräftiger. Als ich mich auf die andere Seite rollte, flüsterte Sergeant Sterling: »Ich habe Sie gedeckt.«
    »Danke, Sarge«, erwiderte ich benommen.
    »Glauben Sie ja nicht, dass wir schon miteinander fertig sind, Private.« Er ging davon. Draußen, im Dunkeln, regnete es schon wieder, und ich dachte, ich bin fast zu Hause, so gut wie raus.

Vier September 2004
    Al Tafar, Provinz Ninive, Irak
    Tagsüber schoben wir abwechselnd Wache, schliefen zwei Stunden, nickten über den Gewehren ein. Der Feind zeigte sich nicht. Nicht einmal aus den Augenwinkeln konnten wir jemanden ausmachen, waren sogar dafür zu müde. Wir sahen nur die Stadt, ein verschwommenes Flickwerk aus Formen in weißen und braunen Tönen, wie hingetuscht unter einem Strich blauen Himmels.
    Als ich geweckt wurde, um die Wache zu übernehmen, ging die Sonne gerade über einem Wadi unter. Sie pirschte sich hinter die Obstbäume, versank in den Ausläufern der Hügel. Murph und ich bemerkten erst, dass die Feuer auf der Obstwiese erloschen waren, als das ferne Knacken schwelender Glut an unsere Ohren drang. Die Schatten der Häuser, die der Stadt vorgelagert waren, wurden länger und hüllten alles ein, und wir merkten nicht, was vor sich ging, und dann brach die Nacht an.
    Wir waren nachlässig geworden. Der Lieutenant gab nur noch selten den Befehl zum Eingraben. Wir hatten uns auch hier nicht eingegraben, sondern Marschgepäck und Gewehr einfach gegen die hohe Lehmziegelmauer gelehnt, die diese Ansammlung von Gebäuden von dem Feld trennte, um das wir während der letzten paar Nächte gekämpft hatten. Der Lieutenant saß vor einem kleinen Funkgerät. Zwischen einem offenen Fenster und einem verkohlten Weißdornbaum war ein grünes Moskitonetz aufgespannt. Wir warteten auf Anweisungen, aber er schien zu schlafen, die Stiefel auf dem Klapptisch, und wir ließen ihn in Ruhe.
    Ein Meldegänger aus dem Bataillon brachte uns nach dem Essen die Post. Er trug eine dicke Brille, lächelte uns an und duckte sich hinter Mauern und Bäume, die er offenbar für eine gute Deckung hielt. Seine Uniform war blitzsauber. Als er Murphs Namen flüsterte, bedankte sich dieser lächelnd, öffnete den Brief und begann zu lesen. Der Meldegänger reichte mir ein Päckchen, und Sergeant Sterling kam hinter seiner Deckung hervor, Pfirsichbaumstämme, gefällt und aufgestapelt von einer längst verschwundenen Familie und wohl als Feuerholz für die kalten Winternächte gedacht, in denen der Schnee, der die Ausläufer des Zagros-Gebirges bedeckte, auch auf der Ebene fiel.
    Sterling rief den Meldegänger zu sich. »Private«, bellte er. »Wo ist meine Post?«
    »Sieht so aus, als hätten Sie keine

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