Die Sonne war der ganze Himmel
kannst das nicht erklären, aber so ist es, Scheiße nochmal, und du bist selbst schuld, weil du freiwillig unterschrieben hast, du bist bewusst zur Army gegangen, und deshalb bist du am Ende doppelt gearscht, warum also nicht einfach zusammenkauern und so schmerzlos wie möglich sterben, denn du bist ein Feigling, und genau diese Feigheit hat dich reingeritten, du wolltest ein Mann sein, weil man sich über dich lustig gemacht, dich in der High School im Flur und in der Cafeteria rumgeschubst hat, und alles nur, weil du gern Bücher und Gedichte gelesen hast, weil sie dich ständig als Schwuchtel beschimpft haben, ja, tief in deinem Inneren weißt du, dass du dich freiwillig gemeldet hast, weil du endlich ein Mann sein wolltest, aber das kannst du jetzt vergessen, du bist viel zu feige, um dich als Mann zu erweisen und die Sache durchzuziehen, warum also nicht einen warmen, gemütlichen Ort suchen und alles möglichst schmerzlos aussitzen, einfach darauf warten, dass du einschläfst und nie wieder aufwachst und alle zum Teufel schickst.
Ich begann zu weinen. Und über mein Weinen wurde es dunkel. Die Mädchen standen im fahlen Schein der Laternen der Eisenbahnbrücke auf den Felsen und trockneten sich ab. Ich stand auf, folgte ziellos einem Pfad, der sich am Flussufer entlangwand. Irgendwann blieb ich stehen und watete ins Wasser. Das Wasser war trotz der Hitze kühl, und der Mond, über den Hügeln stehend, deren Baumbewuchs die Straßenlaternen verdeckte, warf ein schimmerndes Licht auf den Fluss, und ich hatte das gute Gefühl, mich langsam darin aufzulösen. Während ich im Wasser trieb, sank ich ein klein wenig, ein klein wenig tiefer in Richtung Schlaf.
Der Fluss hielt einen Traum bereit. Als ich nackt im Wasser stand, den Blick auf das gegenüberliegende Ufer gerichtet, sah ich mehrere Pferde auf einer Koppel voller Weiden und Hartriegel. Alle Pferde waren gleich, alle rötlich grau, bis auf einen alten Palomino, der mich ansah, während die anderen im Mondschein grasten. Er hatte Blut an den Hufen, seine Hinterbacken waren von Brandeisen und Peitschenhieben gezeichnet. Er senkte den Kopf, trabte in das flache Wasser. Als er auf mich zukam, mischte sich Blut in die Bahn, die er hinter sich herzog, und trieb flussabwärts. Das Pferd wirkte ruhig, kam zögernd auf mich zu. Ich zog die Hände langsam im Halbkreis durch das Wasser, immer hin und her. Dann war das Pferd ganz nahe, schnaubte leise, schüttelte ein oder zwei Mal den Kopf. Schließlich stand es vor mir, alt und auch müde von all den Hieben, und sein Blut vermischte sich mit dem langsam strömenden Wasser, doch es hielt sich trotz seiner Wunden aufrecht. Es senkte den Kopf, strich mit der Schnauze über meine Schultern und meinen Hals, und ich beugte mich zu ihm hin und umschloss seinen Hals mit den Armen, spürte die Kraft seiner alten, wunden Muskeln. Die Augen des Pferdes waren samtschwarz.
Das war meine Vision, als ich erwachte. Verdammter Lärm. Das Geschrei wurde immer lauter. Leute brüllten: »Holt ihn raus. Scheiße nochmal, fischt ihn da raus.« Ich riss den Kopf hoch, spuckte Flusswasser, jemand drosch auf meine Brust ein, bis ich noch mehr Wasser ausspuckte. Ich lag am Ufer, benommen und lächelnd, betrachtete die fremden Gesichter, die sich rings um mich versammelt hatten. Ich lag noch halb im Wasser, das über meine Füße schwappte und sie kühlte, und es war so flach, dass mir nichts mehr passieren konnte. Ich lächelte versonnen, und während ich wieder zu mir kam, dachte ich an den alten Palomino und wie er mich mit seiner Schnauze liebkost hatte. Jetzt rief man meinen Namen. Die Straßenlaternen waren an. In der Zwischenzeit war die Nacht angebrochen.
Luke hatte mich entdeckt, als ich den Fluss hinabtrieb, und mit dem Handy einer Freundin den Notruf gewählt. Die Cops sahen aus Respekt vor meinem Dienst von einer Beurteilung meiner psychischen Verfassung ab. Sie verlangten einen Ausweis, und ich gab ihnen den der Army, und sie sagten: »Okay, Junge, wir bringen dich jetzt nach Hause.« Als sie mich zu Hause absetzten, sah mich einer der Cops sorgenvoll an und sagte: »Reiß Dich zusammen, Kumpel. Dann wirst Du in null Komma nichts wieder auf den Beinen sein.«
Meine Mutter erwartete mich, als ich die Haustür öffnete. Sie nahm mein Gesicht in beide Hände, küsste mich auf Wangen und Stirn. »Ich dachte schon, ich hätte dich verloren«, sagte sie.
»Mir geht’s gut, Ma. Alles ist gut.«
»Ich weiß nicht, was mit Dir los
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