Die Sonne war der ganze Himmel
ist. Ich war halb tot vor Sorge.« Sie ging zum Küchentresen und blätterte nervös in einem Stapel Post. »Inzwischen bekomme ich nicht nur Briefe, sondern auch Anrufe«, sagte sie.
»Ja? Von wem?«
Sie drehte sich zu mir um, und in ihren Augen lagen all jene Schrecken und die ganze Angst, die ich in ihr geweckt hatte. »Irgendein Captain. Von der CID .« Sie sprach diese Worte langsam aus. »Der Criminal Investigation Division. Er will dich sprechen.« Sie verstummte, wollte wieder auf mich zukommen, doch ich wich ihr aus, verschwand in mein Zimmer. Ihre Stimme durchdrang die dünne Kunststofftür. »Was ist dort drüben passiert, Johnny? Was ist passiert, mein Schatz? Was hast du getan?«
Was passiert war? Was verdammt nochmal passiert war? Darum geht es doch gar nicht, dachte ich. Warum diese Frage? Wie das Unerklärliche erklären? Die Ereignisse zu beschreiben, die banalen Fakten, die Chronologie – das wäre gewissermaßen Verrat gewesen. Wenn die fein säuberlich aufgereihten Dominosteine der Momente durch die Wucht einer vagen, undefinierbaren Ursache umgestoßen werden, zeigt das ja nur, dass alle Dinge einmal fallen werden. Das ist ihr Schicksal. Die Schilderung dessen, was geschah, reicht nicht aus. Alles geschah. Alles fiel.
Acht Oktober 2004
Al Tafar, Provinz Ninive, Irak
Auf den ersten Sturm, den wir erlebten, folgte der Herbst. Wir konnten kurz aufatmen, weil Staub und Hitze durch den Regen gemildert wurden, der in dünnen Schleiern von einem schlackenfarbenen Himmel fiel. Aber unsere Anspannung ließ nicht nach; wir waren angespannt und nass.
Einige Tage nach dem Gefecht bekamen wir in aller Frühe Besuch von einem Major. Unser Zug hatte sich auf der Obstwiese gut geschlagen, die Zahl ziviler Opfer gering gehalten, viele Haddschis erledigt und selbst nur wenige Verluste erlitten. Zur Belohnung wurden wir für geregelte Patrouillen eingeteilt: abwechselnd achtundvierzig Stunden Dienst und vierundzwanzig Stunden frei. Bei der Ankunft des Majors waren wir gerade von einer unserer ungefährlicheren Patrouillen durch die südliche Vorstadt von Al Tafar zurückgekehrt. Wir hatten die Ausrüstung auf den Boden geworfen und es uns vor den Bäumen und niedrigen Betonsperren gemütlich gemacht.
»Aaach-tuuung!«, brüllte der Begleiter des Majors, als die beiden unsere Stellung durch ein Tarnnetz betraten.
Der Lieutenant schnarchte, ausgestreckt auf der Betonmauer, hinter der wir bei Mörserbeschuss in Deckung gingen, Pik spielten oder kleine Ringkämpfe austrugen, bis die letzten Schrapnells vorbeipfiffen. Der Lieutenant regte sich nicht. Der Major und sein Begleiter sahen erst einander, dann uns an. Wir erwiderten ihre Blicke, schenkten ihnen aber ansonsten nicht mehr Beachtung als zuvor. Selbst Sterling raffte sich nicht auf. Er trug noch die volle Ausrüstung und wirkte so wach und ordentlich wie immer, aber wir hatten während der letzten drei Stunden vor Anbruch der Dämmerung in einem Abwasserkanal gehockt und auf einen Rettungshubschrauber gewartet, der wegen der dichten Wolkendecke nach dem Sturm nicht hatte starten können, hatten Metallsplitter aus Gesicht und Hals eines jungen Mannes gezupft. Wir waren müde.
Der Begleiter des Majors räusperte sich. »Aaaach-tuuuung!«, rief er, jetzt lauter, doch wir blieben im kühlen Regen liegen und genossen die Stille des frühen Morgens.
Sterling kam auf die Beine, warf einen Blick auf den tief und fest schlafenden Lieutenant und befahl dann so ernsthaft, wie sein Zustand es erlaubte: »Rührt euch.«
Während der Major zu einer Rede ansetzte, liefen wir hin und her. Sterling bewahrte als Einziger einen Rest militärischer Haltung und hörte zu. Mehr schien auch für ihn nicht drin zu sein. Während wir im Trockenen, unter Tarnnetzen und Segeltuch, unsere Waffen reinigten, wurden Ehrungen verlesen. Manche Soldaten trotzten dem Regen, standen vor roten Plastikeimern mit schmutzigem Wasser und wuschen Staub und Salz aus ihren Kleidern. Andere tauschten Dinge aus ihren Carepaketen gegen Zigaretten und zündeten sich eine an, doch die meisten schenkten der ungebetenen Zeremonie ein Mindestmaß an Aufmerksamkeit. Während der Major sprach, lösten sich die Anweisungen für die Verleihung von Orden und die Aussprache lobender Erwähnungen durch die Nässe in feuchte Fetzen auf, und die Aufgerufenen nahmen entweder entgegen, was ihnen zugedacht war, oder auch nicht, je nachdem, wie viel Interesse der jeweilige Soldat gerade aufbringen konnte.
Nur
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