Die Sonne war der ganze Himmel
meine Haut grau wurde, und dann wäre ich eine Leiche. Ich sagte »grau«, und ich sagte »Leiche«, und die Laute »au« und »ei« hallten durch die Betonröhre, tröpfelten auf beiden Seiten in die Nacht, in den leichten Regen, und ich erblickte Murph. Ich war betrunken. Ich war tot. Ich sah, wie Murph meinen durchlöcherten Kopf hielt, sah, wie er mich an den Armen wegschleifte. Meine Beine, tot und schlaff, glitten über den Erdboden, holperten über Unebenheiten, ohne dass ich dies gespürt hätte. Ich musste lachen, und das gedämpfte »Ha« blieb ohne Echo, und ich sah Wasser und meine darin treibende Leiche, sah, wie mein Blut das Wasser rot färbte, bildete mir ein, meinen Körper, mein Blut riechen zu können, ein beißender Metallgeruch. Ich war sternhagelvoll. Ich schaute in dunkle Kästen, in billige Blechkisten, sah die vielen kleinen Gräber in Virginia, wie Zähne auf dem Feld aufgereiht, und der Hartriegel blühte, und dann welkten die Blüten, und meine Mutter weinte, sie weinte. Ich hatte sie zum Weinen gebracht. Ich sah, wie fest die Erde war, sah die Würmer darin, und Flagge und Blechkiste begannen zu verblassen, und ich hatte nur noch braune Erde vor Augen, dachte an Murph und an Wasser, flüsterte das Wort »Wasser« mit fragendem Unterton, und das Einzige, woran ich mich erinnern konnte, als ich erwachte, war die eine, vom Beton als Echo zurückgeworfene Silbe: »Qua! Qua! Qua!«
Es hörte auf zu regnen. Milderes Wetter setzte ein. Unser nächster achtundvierzigstündiger Patrouillendienst verlief ereignislos. Wir waren uns inzwischen nicht einmal mehr der eigenen Verwilderung bewusst: die Prügel, die Tritte nach Hunden, die Durchsuchungen, die Brutalität unserer bloßen Anwesenheit. Jede Aktion, die wir mechanisch abspulten, glich einer Seite im Übungsheft. All das war mir gleichgültig.
Ich hatte tagelang kein Wort mit Murph gewechselt. Niemand hatte mit ihm gesprochen. Ich fand seine Casualty Feeder Card, den Brief und das Foto seiner Exfreundin in einem seifigen Wascheimer. Ich steckte die Sachen ein. Ich begann, ihm zu folgen, versuchte herauszufinden, was er vorhatte. Ich wollte nicht wahrhaben, dass ich jemanden beobachtete, der schon tot war, und suchte deshalb nach Beweisen für das Gegenteil; ich wollte wissen, ob er sich wenigstens noch ein bisschen an das Leben klammerte.
Nach einer Weile entdeckte ich seine Spuren überall auf der Basis: Murph war hier. Ein kleines Tag, zwei Augen und eine Nase über einem dünnen Strich. Manchmal auch mit Fingern, die über den Strich lugten, aber Augen und Nase waren immer da, fragend und albern, und das Tag: Murph war hier. Hatte er das von Anfang an getan?, fragte ich mich. Seine Tags waren nicht datiert, aber auf keinen Fall älter als eine Woche. Ich versuchte, anhand der fünf oder sechs Tags herauszufinden, wo er sich herumtrieb, strich einen Ort nach dem anderen von der Liste. Während der nächsten Wochen observierte ich die Kantine, ein Transportunternehmen, ferne Wachtürme und sogar den Haddschi-Markt, der mit Erlaubnis des Brigadekommandeurs eingerichtet worden war, damit wir die einheimische Bevölkerung durch unsere Beteiligung an der Schwarzmarktwirtschaft unterstützten. Ich konnte ihn nirgendwo finden.
Als ich nicht mehr weiterwusste, fragte ich herum. »Weiß jemand, wo Murph steckt?«
»Nein, Mann«, antworteten die einen.
»Scheiße, woher soll ich das wissen?«, sagten andere.
Ich stieß auf Sterling, der die Füße auf einen Sandsackstapel gelegt hatte und die Augen mit einem Pornomagazin vor der Sonne beschirmte. »Hey, Sarge. Haben Sie Murph in letzter Zeit gesehen?«
»Ja«, sagte er. »Er ist ständig bei den Sanis, um irgendeine Nutte anzuglotzen.«
»Im Feldlazarett?«, fragte ich.
»Nein, Blitzmerker«, antwortete er. »Er macht unserem Sani, Fettarsch Smitty, schöne Augen.«
»Ach so. Dann schaue ich mal nach ihm.«
»Ihr Krieg, Private«, sagte Sergeant Sterling, und ich verließ unseren Bereich, bückte mich unter den Netzen, die zwischen Bunkern und Unterkünften gespannt worden waren, drückte den schweren Stoff nach oben, damit er mich nicht einhüllte wie ein Leichentuch. Gelegentlich drang Licht durch die Löcher, fiel auf meine Hände und meinen Oberkörper, fiel auf den Pfad, der zu jenem Hügel führte, auf dem die Sanitäter ein Lazarett errichtet hatten.
Ich rauchte Kette, während ich den Hügel erklomm. Eine kleine Sperrholzkapelle stand im festgebackenen Staub, der weite Teile der
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