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Die Sonne war der ganze Himmel

Die Sonne war der ganze Himmel

Titel: Die Sonne war der ganze Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Powers
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Basis bedeckte. Die weiße Farbe war durch die Witterung abgeblättert, die Bretter waren rissig, und die Bäume, als Schattenspender rings um die Kapelle gepflanzt, hatten immer noch keine Wurzeln geschlagen, mussten zusehen, wie sie die Sommerhitze überstanden. Auf der Kuppe war ein Hubschrauberlandeplatz eingerichtet worden. Dahinter stand ein Irrgarten aus Zelten, unterteilt von offenen Abzugskanälen. Das Ganze war von einer niedrigen Mauer umgeben, die einem Ring aus entkalkten Knochen glich und den Eindruck erweckte, jeden Augenblick in die Erde zurücksinken zu wollen, aus der man ihre Steine geholt hatte.
    Der Hügel war nicht besonders steil, und als ich oben stand, drehte ich mich um, betrachtete den nahen, von Türmen und Geschützstellungen gesäumten Zaun der Basis. Dahinter verliefen Straße und Bahngleise ein paar hundert Meter parallel, gesäumt von immergrünen Bäumen, die in der Kühle der kürzlichen Regenfälle erschlafft waren. Wiederum dahinter breitete sich die Stadt so willkürlich aus wie die Glieder eines irgendwo auf dem Bürgersteig zusammengeklappten Säufers.
    »Hey, Bart«, sagte Murph.
    Im Schatten der halbfertigen Mauer wirkte er wie erstarrt.
    »Wo hast du gesteckt, Kumpel?«, fragte ich.
    »Ich war hier. Hier.«
    »Alles klar bei dir?«
    Seine Hände steckten in den Hosentaschen, die Beine hatte er übereinandergeschlagen. Er schien das Lager der Sanis zu beobachten, auf ein Ereignis zu warten, von dem ich nichts ahnte. Das dumpfe Knattern eines Helis rollte vom Himmel. Der Vogel senkte sich, schwankte, flog in der flimmernden Hitze dicht über dem Horizont auf uns zu. Ich setzte mich neben Murph in den Schatten. Wir hielten die Mütze fest, damit sie nicht vom feinen Staub weggeweht wurde, den die Rotoren aufwirbelten.
    Als der Heli tief über dem Landeplatz schwebte, wurde es hektisch im Lager. Ein Sani spielte Fluglotse, zwei andere hielten eine Trage bereit. Wir konnten von der Mauer aus erkennen, dass sie stellenweise rotbraun von Blut war. Ein weiterer Sani, eine junge Frau, hockte neben der Trage im Staub. Die Frau war blond, trug ein braunes T-Shirt und Latexhandschuhe, die bis zu den bleichen Ellbogen reichten. Ihre kurzen Hemdsärmel waren bis zu dem sanften, weißen Bogen ihrer Schultern aufgekrempelt, und das Himmelblau der Handschuhe hob sich so leuchtend von der winterlichen Eintönigkeit der Wüste ab, dass sie uns bei jeder Bewegung in Bann schlugen.
    »Schaust du dieser Frau zu?«, fragte ich.
    »Ja.«
    Nach der Landung zogen der Crew Chief und die Sanis einen jungen Mann aus der Hubschrauberkabine, der im Rotorengeknatter lautlos zu schreien schien. Sein Blut beschrieb eine Spur vom Kabinenboden bis auf die Arme der Helfer und dann auf die Trage, und sein linkes Bein war kein Bein mehr, sondern sah unter der aufgeschnittenen Hose aus wie grobkörniger Maisbrei. Die junge Frau brachte eine Aderpresse an seinem Bein an, lief neben der Trage her, wobei sie eine Hand des Verwundeten hielt, mit der freien Hand über sein Haar, seine Lippen und Augen strich, und dann verschwanden alle hinter den Zeltbahnen des provisorischen Lazaretts, und der Heli hob wieder ab, hing schräg in der Luft und flog in Richtung Horizont. Je leiser sein Rotorengeknatter wurde, desto lauter hallten die Schreie des jungen Mannes im Lazarett. Die paar Leute, die am Hügel vorbeigingen, blieben stehen. Murph und ich saßen stumm und reglos da. Alle lauschten, während die Schreie des jungen Mannes leiser wurden und dann erstarben. Wir hofften, dass seine Stimme versagt hatte, dass er müde war oder eine Betäubung bekommen hatte, dass er die kühle Luft tief einatmete, dass seine Stimmbänder nicht mehr vor Schmerz vibrierten, wussten jedoch, dass das Wunschdenken war.
    »Ich will nach Hause, Bart«, sagte Murph, schob sich Tabak hinter die Unterlippe und spuckte in den Staub.
    »Bald, Mann, bald«, sagte ich.
    Die anderen gingen weiter, über den Hügel oder den Hang hinab, hatten den Vorfall abgehakt.
    »Wenn ich zu Hause bin, werde ich niemandem erzählen, dass ich hier war«, sagte er.
    »Ein paar Leute werden es trotzdem wissen, Murph.«
    Die junge Frau trat aus dem Zelt. Alle Hast war aus ihren Bewegungen gewichen. Sie zog die von dunklen Blutspritzern bedeckten Handschuhe aus, warf sie in eine Tonne. Ihre Arme waren bleich, die Hände braungebrannt und recht klein. Ich schaute Murph an, glaubte zu wissen, warum er so oft hierherkam. Nicht, weil die Frau schön war – das war sie –,

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