Die souveraene Leserin
nicht gerade: »Hatten Sie eine weite Anreise?«, aber doch das literarisch Entsprechende. »Wie kommen Sie auf Ihre Figuren? Haben Sie einen regelmäßigen Arbeitstag? Schreiben Sie auf dem Computer?« Sie wusste selbst, dass diese Fragen klischeehaft und peinlich waren, doch das unbehagliche Schweigen war noch schlimmer.
Besonders beängstigend war ein schottischer Schriftsteller. Als sie ihn fragte, woher seine Inspiration komme, entgegnete er heftig: »Die kommt nicht, Euer Majestät. Man muss rausgehen und sie sich holen.«
Und wenn sie denn einmal – beinahe stammelnd – ihre Bewunderung auszudrücken imstande war und hoffte, der Autor (denn die Männer, stellte sie fest, waren darin viel schlimmer als die Frauen) würde ihr verraten, wie er zum Schreiben des fraglichen Buches gekommen sei, dann wurde ihre Begeisterung rasch abgetan, und der Betreffende bestand darauf, nicht über den gerade erschienenen Bestseller zu sprechen, sondern über das neue Buch, an dem er gerade arbeitete, wie schwer es damit voranging und wieso er daher – und hier nahm er einen Schluck Champagner – leide wie ein Hund.
Schriftstellern, so war ihr bald klar, begegnete man am besten auf den Seiten ihrer Bücher, und sie waren ebenso sehr Phantasiefiguren ihrer Leser wie ihre Romanhelden. Und sie fanden anscheinend auch gar nicht, dass man ihnen mit dem Lesen ihrer Werke einen Gefallen getan hatte. Vielmehr hatten sie einem den Gefallen getan, sie zu schreiben.
Zunächst hatte sie gedacht, sie könnte solche Empfänge vielleicht regelmäßig geben, doch diese eine Soirée reichte, um sie vom Gegenteil zu überzeugen. Einmal war genug. Sir Kevin fiel ein Stein vom Herzen, denn er war von Anfang an nicht begeistert gewesen und hatte darauf hingewiesen, wenn sie einen Abend für Schriftsteller abhalten wolle, müsse sie eine ähnliche Einrichtung für bildende Künstler schaffen, und wenn man Autoren und Künstler eingeladen hätte, würden auch die Wissenschaftler nicht zurückstehen wollen.
»Ma’am dürfen nicht den Eindruck von Bevorzugung erwecken.«
Nun, die Gefahr bestand jetzt nicht mehr.
Mit einigem Recht gab Sir Kevin Norman die Schuld an diesem Abend literarischer Lustlosigkeit, da er die Queen ermutigt hatte, als sie die Idee zaghaft erwähnt hatte. Allerdings hatte der Empfang auch Norman wenig Vergnügen bereitet. Wie die literarische Landschaft nun einmal beschaffen ist, war der Anteil von Schwulen unter den Gästen recht hoch, einige davon waren auf Normans ausdrücklichen Vorschlag hin eingeladen worden. Doch das nützte ihm wenig. Auch wenn er nur, wie die anderen Pagen, Tabletts mit Getränken und den kleinen dazu gereichten Bissen herumtrug, wusste Norman doch im Gegensatz zu seinen Kollegen um den literarischen und gesellschaftlichen Ruf der Männer, auf die er mit seinem Tablett zusteuerte. Er hatte sogar ihre Bücher gelesen. Doch nicht um ihn scharten sie sich, sondern um die hübscheren Pagen und die arroganteren Kammerdiener, die, wie Norman bitter bemerkte (allerdings nicht der Queen gegenüber), literarische Verdienste nicht einmal bemerken würden, wenn man sie mit der Nase hineinstieße.
Wenn es auch insgesamt eine eher unerfreuliche Erfahrung war, die Welt der Worte zu sich zu laden, so verleidete es Ihrer Majestät doch keinesfalls (wie Sir Kevin gehofft hatte) das Lesen. Es trieb ihr lediglich den Wunsch aus, Schriftsteller kennenzulernen, und in gewissem Maß vergällte es ihr auch die Lektüre lebender Autoren. Aber das bedeutete nur, dass sie mehr Zeit für die Klassiker hatte, für Dickens, Thackeray, George Eliot und die Brontë-Schwestern.
Jeden Dienstag traf die Queen ihren Premierminister, der sie über das in Kenntnis setzte, was sie seiner Ansicht nach wissen sollte. In der Presse wurden diese Termine gern so dargestellt, als erteile eine erfahrene Monarchin ihrem Ersten Minister weise Ratschläge, um ihn an möglichen Fallgruben vorbeizuführen, und zehre dabei von ihrem einzigartigen politischen Erfahrungsschatz, den sie in über fünfzig Jahren auf dem Thron angehäuft habe. Das war ein Mythos, auch wenn der Palast selbst zu seiner Verfestigung beitrug; tatsächlich neigten die Premierminister, je länger sie im Amt waren, umso weniger zum Zuhören, dafür umso mehr zum Reden, wobei die Queen aufmerksam, wenn auch nicht immer zustimmend nickte.
Zu Anfang wollten die Premierminister von der Queen immer an der Hand gehalten werden, wollten ein paar Streicheleinheiten und einen
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