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Die souveraene Leserin

Die souveraene Leserin

Titel: Die souveraene Leserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bennett
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Geld.«
    »Das sollte kein Problem sein. Ihre Majestät möchte Ihnen da auf keinen Fall Steine in den Weg legen, sondern vielmehr den Weg freimachen.«
    »Ich glaube, ich würde lieber hier bleiben«, sagte Norman. »Was ich hier tue, bildet auch weiter.«
    »Mmja nun«, sagte der Privatsekretär, »das wird leider nicht gehen. Ihre Majestät hat da jemand anderen im Auge. Natürlich«, hier lächelte er hilfsbereit, »steht Ihr Arbeitsplatz in der Küche jederzeit wieder zur Verfügung.«
    Und so hockte Norman nach der Rückkehr der Queen aus Kanada nicht mehr auf seinem üblichen Stuhl in der Ecke des Korridors. Sein Stuhl war leer, vielmehr war der Stuhl gar nicht mehr da, ebenso wenig wie der tröstliche Bücherstapel auf dem Nachttisch, an den sie sich schon so gewöhnt hatte. Noch drängender jedoch war das Problem, dass sie mit niemandem über die großen literarischen Qualitäten Alice Munros sprechen konnte.
    »Er war nicht gerade beliebt, Ma’am«, sagte Sir Kevin.
    »Bei mir war er beliebt«, sagte die Queen. »Wo ist er hin?«
    »Keine Ahnung, Ma’am.«
    Norman war ein sensibler Junge und schrieb der Queen einen langen, geschwätzigen Brief über seine Seminare und seine Leselisten, doch als der Antwortbrief mit den Worten »Herzlichen Dank für Ihren Brief, den Ihre Majestät mit großem Interesse gelesen hat« anfing, wurde ihm klar, dass er aus ihrem Leben gedrängt worden war, ohne allerdings genau zu wissen, ob sie selbst oder ihr Privatsekretär die treibende Kraft dahinter war.
    Wenn Norman auch im Unklaren blieb, so hegte die Queen selbst doch keine Zweifel, wer für seinen Abgang gesorgt hatte. Norman war es ebenso ergangen wie dem Bücherbus oder der Bücherkiste, die in Calgary gelandet war. Er hatte wie das Buch aus der Staatskarosse noch Glück gehabt, dass man ihn nicht gesprengt hatte. Natürlich vermisste sie ihn, gar kein Zweifel. Aber da weder Brief noch Nachricht kam, gab es keine andere Wahl, als grimmig entschlossen weiterzumachen. Vom Lesen jedenfalls sollte sie das nicht abhalten.
    Es mag überraschen und ein schlechtes Licht auf ihren Charakter werfen, dass die Queen sich Normans plötzlichen Verschwindens wegen nicht mehr Gedanken machte. Doch solch unverhofftes Fehlen, solche plötzlichen Abgänge gehörten schon immer zu ihrem Leben. Man teilte ihr zum Beispiel selten mit, wenn jemand krank war; Sorge oder auch nur Mitgefühl brauchte sie als Königin nicht zu empfinden, fand jedenfalls ihr Hofstaat. Wenn der Tod tatsächlich einmal, wie es unglücklicherweise vorkam, einen Diener oder gar einen Freund traf, dann erfuhr die Queen erst zu diesem Anlass, dass es Grund zur Sorge gegeben hatte, denn ein Leitsatz all ihrer Diener lautete: »Wir dürfen Ihrer Majestät keine Sorgen bereiten.«
    Norman war natürlich nicht gestorben, sondern nur an die Universität von East Anglia gegangen, auch wenn das für viele Hofbeamte kaum einen Unterschied machte, denn er war aus dem Leben Ihrer Majestät geschieden und existierte daher nicht mehr, sein Name wurde weder von der Queen noch von sonst irgendwem je wieder erwähnt. Doch der Queen sollte man dafür keine Schuld zuweisen, da waren sich alle Untergebenen einig; die Queen war nie an etwas schuld. Menschen starben, Menschen gingen, Menschen tauchten (das immer öfter) in der Zeitung auf. Für sie waren das alles Abgänge der einen oder anderen Art. Die verschwanden, sie aber machte weiter.
    Weniger freundlich war vielleicht, dass die Queen sich schon vor Normans rätselhaftem Verschwinden gefragt hatte, ob sie ihm nicht inzwischen enteilt war… oder vielleicht eher entlesen. Einst war er ihr demütiger und geradliniger Führer in die Welt der Bücher gewesen. Er hatte ihr geraten, was sie lesen sollte und was nicht, und hatte auch nicht gezögert, ihr zu sagen, dass sie für ein bestimmtes Werk noch nicht so weit sei. Beckett hatte er ihr zum Beispiel lange vorenthalten, Nabokov ebenso, und mit Philip Roths Werk hatte er sie nur schrittweise vertraut gemacht (wobei Portnoys Beschwerden ganz unten auf der Liste stand).
    Doch hatte sie zunehmend einfach gelesen, worauf sie Lust hatte, und Norman ebenso. Sie hatten sich über ihre Lektüre ausgetauscht, allerdings hatte sie dabei immer mehr das Gefühl, wegen ihrer Lebenserfahrung im Vorteil zu sein; Bücher konnten einen nicht alles lehren. Außerdem hatte sie entdeckt, dass Normans Vorlieben manchmal mit Vorsicht zu genießen waren. Wenn sonst keine Kriterien den Ausschlag gaben,

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