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Die souveraene Leserin

Die souveraene Leserin

Titel: Die souveraene Leserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bennett
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bevorzugte er immer noch homosexuelle Autoren, weshalb sie auch in den Genuss Genets gekommen war. Manche davon gefielen ihr – die Romane Mary Renaults beispielsweise faszinierten sie –, auf andere Autoren abweichender Neigungen war sie weniger versessen: Denton Welch zum Beispiel (einer von Normans Lieblingen) fand sie eher ungesund; bei Isherwood wurde ihr zu viel sinniert. Als Leserin mochte sie es forsch und geradeheraus; sie wollte sich keinesfalls in irgendetwas suhlen.
    Da sie nun nicht mehr mit Norman reden konnte, führte die Queen immer längere Selbstgespräche und brachte immer mehr Gedanken zu Papier, sodass aus einem Notizbuch viele wurden, die sich weitreichenden Themen widmeten. »Ein Weg zum Glück ist es, ohne Ansprüche zu sein.« Sie machte ein Sternchen daneben und setzte als Fußnote darunter: »Diese Erfahrung blieb mir in meiner Stellung allerdings immer verwehrt.«
    »Als ich einmal, ich glaube, Anthony Powell zum Companion of Honour erhob, sprachen wir über schlechtes Benehmen. Er selbst war bemerkenswert höflich, sogar förmlich, und erklärte, Schriftsteller zu sein enthebe einen nicht der Verpflichtung, Mensch zu bleiben. Während es sich bei der Queen (auch wenn man das damals nicht gesagt hat) anders verhält. Ich muss zwar die ganze Zeit wie ein Mensch wirken, aber selten einer sein. Dafür habe ich meine Leute.«
    Zusätzlich zu derlei Einsichten notierte sie immer öfter Beschreibungen der Menschen, denen sie begegnete, und nicht unbedingt der berühmten: Eigenarten, Redeweisen, auch Geschichten, die man ihr – oft vertraulich – erzählte. Wenn in irgendeiner Zeitung ein Skandalartikel über die königliche Familie erschien, hielt sie in ihrem Notizbuch die wahren Begebenheiten fest. War der Öffentlichkeit ein Skandal entgangen, schrieb sie ihn ebenfalls auf, und alles in jenem vernünftigen, bodenständigen Ton, den sie immer mehr als ihren eigenen Stil erkannte und zu schätzen wusste.
    Ihre Lektüre nahm zwar durch Normans Abwesenheit keinen Schaden, doch einen etwas anderen Verlauf. Sie bestellte zwar weiterhin Bücher aus der London Library und im Buchhandel, aber ohne Norman konnte sie das nicht mehr im Geheimen tun. Nun musste sie ihre Kammerzofe fragen, die sich dann an den Hofrechnungsprüfer wandte, bevor sie das Bargeld zum Kauf in die Hand bekam. Das dauerte ermüdend lange, und sie umging die Formalitäten gelegentlich, indem sie eines ihrer unbedeutenderen Enkelkinder bat, ihr Bücher zu besorgen. Die taten ihr gern den Gefallen und waren erfreut, überhaupt wahrgenommen zu werden, da ja die Öffentlichkeit kaum von ihrer Existenz wusste. Doch immer häufiger bezog die Queen ihren Lesestoff aus den eigenen Bibliotheken, vor allem aus der in Windsor, wo es zwar kein unbeschränktes Angebot an modernen Büchern gab, aber immerhin zahlreiche klassische Romane auf den Regalen standen, viele davon natürlich handsigniert – Balzac, Turgenjew, Fielding, Conrad; Bücher, die ihr vor nicht allzu langer Zeit als zu hoch erschienen wären, die sie jetzt jedoch rasch durchmaß, immer den Bleistift zur Hand. Im Verlauf dieser Klassikerlektüre versöhnte sie sich sogar wieder mit Henry James, dessen Abschweifungen sie inzwischen leichter ertrug: »Schließlich«, so notierte sie, »muss ein Roman nicht der Vogelfluglinie folgen.« Als der Bibliothekar von Windsor sie am Fenster sitzen sah, wo sie die letzten Sonnenstrahlen nutzte, dachte er bei sich, dass diese ehrwürdigen Regale sicher seit George III. keinen eifrigeren Leser gesehen hatten.
    Dieser Bibliothekar war auch einer von vielen gewesen, der Ihrer Majestät den Charme von Jane Austens Romanen anempfohlen hatte, doch nachdem Ma am von allen Seiten versichert wurde, wie sehr sie Ma’am gefallen würde, verspürte Ma’am keinerlei Verlangen mehr nach ihr. Außerdem hinderten sie bei der Lektüre ganz persönliche Beschränkungen. Die Essenz der Kunst Jane Austens liegt in feinsten gesellschaftlichen Distinktionen, und von der einzigartigen Warte der Queen aus waren diese Unterscheidungen nur schwer auszumachen. Zwischen der Monarchin und selbst ihren höherrangigen Untertanen lag immer noch ein solcher Abgrund, dass alle weitergehenden sozialen Differenzen für sie in weite Ferne rückten. Diese Unterschiede, die bei Jane Austen eine so ungeheure Rolle spielten, hatten also für die Queen noch weniger Bedeutung als für den gewöhnlichen Leser, und das machte die Lektüre zäh. Zu Anfang waren Jane Austens

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