Die souveraene Leserin
waren die Kanadier nicht gerade ein Volk des Buches, und der Terminplan war so eng, dass Ihre Majestät kaum dazu kommen dürfte, in Buchhandlungen zu stöbern. Sie freute sich schon auf die Reise, da ein großer Teil der Strecke mit der Bahn zurückgelegt werden sollte, und sie stellte sich vor, in stiller Abgeschiedenheit über den Kontinent zu rollen, während sie in ihrem Samuel Pepys blätterte, den sie zum ersten Mal las.
Doch tatsächlich erwies sich der Besuch oder zumindest sein Beginn als katastrophal. Die Queen war gelangweilt, wenig kooperativ und mürrisch, was ihr Hofstaat allzu gern auf ihre Lektüre geschoben hätte, wenn nicht in diesem Fall gerade die fehlende Lektüre schuld gewesen wäre, da die Bücher, die Norman für sie eingepackt hatte, unerklärlicherweise verlorengegangen waren. Sie waren mit der königlichen Reisegruppe von Heathrow abgeflogen, tauchten aber erst Monate später in Calgary wieder auf, wo sie zum Mittelpunkt einer hübschen, wenn auch etwas exzentrischen Ausstellung in der städtischen Bücherei wurden. Inzwischen jedoch fehlte Ihrer Majestät die geistige Beschäftigung, und anstatt sich nun auf ihre anstehenden Aufgaben zu konzentrieren, wie es Sir Kevin gehofft hatte, als er die Fehlleitung der Bücher arrangierte, machte die fehlende Ablenkung sie nur übellaunig und schwierig.
Im hohen Norden warteten die wenigen Eisbären, die sich auftreiben ließen, lange auf Ihre Majestät, und als die sich nicht blicken ließ, machten sie sich auf einer vielversprechenden Scholle davon. Zahllose Holzstämme verkeilten sich im Fluss, Gletscher kalbten ins eisige Meer, alles vom königlichen Gast unbeachtet, denn die blieb in ihrer Kabine.
»Willst du dir den St.-Lorenz-Strom nicht ansehen?«, fragte ihr Gatte.
»Ich habe ihn vor fünfzig Jahren für die Schifffahrt eröffnet. Er wird sich kaum verändert haben.«
Selbst die Rocky Mountains wurden nur eines müden Blickes gewürdigt und die Niagarafälle ganz ignoriert (»Ich habe sie schon dreimal gesehen«), also fuhr der Herzog allein hin.
Es begab sich jedoch, dass die Queen bei einem Empfang für kanadische Kulturgrößen mit Alice Munro ins Gespräch kam, und als sie erfuhr, dass diese Romane und Kurzgeschichten veröffentlicht hatte, bat sie um eines ihrer Bücher, das sie mit großem Vergnügen las. Und es kam noch besser: Ms. Munro versorgte sie gern mit einer ganzen Reihe weiterer Werke.
»Kann es eine größere Freude geben«, vertraute sie ihrem Tischnachbarn an, dem kanadischen Außenhandelsminister, »als auf eine Autorin zu stoßen, die einem gefällt, und dann herauszufinden, dass sie nicht bloß ein oder zwei Bücher, sondern mindestens ein Dutzend geschrieben hat?«
Und alle, auch wenn sie das nicht extra erwähnte, schon im Taschenbuch und daher in Handtaschengröße erhältlich. Sofort wurde eine Postkarte an Norman verschickt, damit er die wenigen vergriffenen Werke sofort aus der Bibliothek besorgte, sodass sie bei ihrer Rückkehr für sie bereitstünden. Was für ein Vergnügen!
Aber Norman war nicht mehr da.
Am Tag vor seiner Abreise zu den Schönheiten, die Stockton-on-Tees zu bieten hat, wurde Norman in Sir Kevins Büro gebeten. Der Berater des Premierministers hatte gefordert, Norman zu feuern; Sir Kevin konnte den Berater nicht leiden; Norman konnte er auch nicht leiden, aber den Berater noch weniger, und das war Normans Rettung. Außerdem fand Sir Kevin es vulgär, jemanden zu feuern. Es gab doch elegantere Lösungen.
»Ihre Majestät legt immer Wert darauf, ihren Angestellten Fortbildung und Besserstellung zu ermöglichen«, sagte der Privatsekretär großmütig. »Sie findet Ihre Dienste zwar mehr als zufriedenstellend, dennoch würde es sie interessieren, ob Sie je über ein Universitätsstudium nachgedacht haben?«
»Studium?«, fragte Norman, der noch nie daran gedacht hatte.
»Genauer gesagt, ein Literaturstudium an der Universität von East Anglia. Es gibt dort ein sehr gutes Englisches Seminar und auch ein Institut für Kreatives Schreiben. Ich darf von den dort Unterrichtenden nur folgende Namen nennen«, hier sah Sir Kevin auf seine Notizen, »Ian McEwan, Rose Tremain und Kazuo Ishiguro…«
»Ja«, sagte Norman, »die haben wir gelesen.«
Der Privatsekretär zuckte beim Gebrauch des ›wir‹ zusammen, sagte jedoch, Norman wäre seiner Ansicht nach an der Universität von East Anglia sehr gut aufgehoben.
»Aber wovon soll ich das bezahlen?«, fragte Norman. »Ich habe kein
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