Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)
uns verwurzelt, weil die Konstellation Gruppe gegen Gruppe eine grundlegende Antriebskraft war, die uns zu dem gemacht hat, was wir sind. In prähistorischer Zeit hob die Gruppenselektion die Hominiden, die zu reviergebundenen Fleischfressern wurden, auf die Höhen der Solidarität empor, zum Erfindungs- und Unternehmungsgeist. Und zur Angst . Jeder Stamm wusste zu Recht, dass er, wenn er nicht bewaffnet und kampfbereit war, in seiner schieren Existenz bedroht war. In der Geschichte war das Hauptziel für die Fortentwicklung der meisten Technologien immer die Steigerung der Kampffähigkeit. Noch heute sind die Feiertagskalender der Nationen von Gedenktagen durchzogen, die an gewonnene Kriege oder an gefallene Kriegsteilnehmer erinnern. Öffentliche Zustimmung lässt sich am besten dadurch steigern, dass man an die Emotionen eines Kampfes auf Leben und Tod appelliert, in denen die Amygdala die Meisterin ist. Wir befinden uns in einer Schlacht gegen eine Ölkatastrophe, im Krieg gegen die Inflation und unternehmen einen Feldzug gegen den Krebs. Wo immer es einen Feind gibt, und egal ob er lebt oder nicht: Wir brauchen einen Sieg. An der Front müssen wir uns durchsetzen, egal, wie teuer es uns zu Hause zu stehen kommt.
Für einen echten Krieg ist jede Rechtfertigung willkommen, sofern er nur als notwendig gilt, um den Stamm zu schützen. Erinnerungen an vergangene Gräuel bleiben wirkungslos. Von April bis Juni 1994 machten sich Todeskommandos der Hutu-Mehrheit in Ruanda daran, die Tutsi-Minderheit zu vernichten, die damals das Land beherrschte. In hundert Tagen wurden in einem hemmungslosen Gemetzel 800.000 Menschen, zumeist Tutsi, mit Messern und Gewehren getötet. Die Bevölkerung von Ruanda wurde um zehn Prozent dezimiert. Als dem Töten schließlich Einhalt geboten wurde, flohen zwei Millionen Hutu aus dem Land, weil sie Vergeltung fürchteten. Der unmittelbare Anlass für das Blutbad waren politische und soziale Missstände, die aber alle in einem Hauptgrund wurzelten: Ruanda war das am meisten übervölkerte Land Afrikas. Für die ständig wachsende Bevölkerung schrumpfte das nutzbare Land pro Einwohner auf dramatische Weise. Die tödliche Auseinandersetzung ging letztlich darum, welcher Stamm den Boden insgesamt besitzen und beherrschen sollte.
Vor dem Genozid waren die Tutsi dominant gewesen. Die belgischen Kolonialherren hatten sie für den besseren der beiden Stämme befunden und sie dementsprechend bevorzugt. Natürlich glaubten die Tutsi auch selbst daran, und obwohl die beiden Stämme dieselbe Sprache sprachen, behandelten sie die Hutu als minderwertig. Die Hutu ihrerseits betrachteten die Tutsi als Invasoren, die vor mehreren Generationen aus Äthiopien eingewandert waren. Vielen von denen, die über ihre Nachbarn herfielen, war das Land der von ihnen getöteten Tutsi versprochen worden. Wenn sie die Leichen der Tutsi in den Fluss warfen, höhnten sie, sie schickten ihre Opfer zurück nach Äthiopien.
Die Abspaltung einer Gruppe, deren Mitgliedern die Humanität abgesprochen wird, rechtfertigt jede Brutalität, auf jeder Ebene und egal, wie groß die Opfergruppe ist, bis hin zu ganzen Rassen oder Bevölkerungen. Das Terrorregime unter Stalin führte im Winter 1932/33 zum vorsätzlichen Hungertod von über drei Millionen Sowjetukrainern. 1937 und 1938 wurden 681.692 Hinrichtungen wegen vermeintlicher «politischer Verbrechen» vorgenommen; betroffen waren in über 90 Prozent der Fälle Bauern, die sich angeblich der Kollektivierung widersetzten. Die UdSSR insgesamt litt genauso stark unter der brutalen Invasion der Nationalsozialisten, deren Ziel die Unterwerfung der «minderwertigen» Slawen war, um Lebensraum für die Ausdehnung der rassisch «reinen» arischen Völker zu schaffen.[ 27 ]
Und wenn es keinen anderen passenden Grund gab, um einen Expansionskrieg zu führen, so konnte und kann dafür immer Gott herhalten. Es war der Wille Gottes, der die Kreuzfahrer an die Levante führte. Sie wurden im Voraus mit päpstlichen Ablassbriefen bezahlt. Sie marschierten unter dem Zeichen des Kreuzes und forderten, dass das vermeintlich wahre Kreuz in die Hände der Christen zurückfiel. Bei der Belagerung von Akkon im Jahr 1191 ließ der englische König Richard I. 2700 muslimische Kriegsgefangene so nah an die Schlachtlinie bringen, dass Saladin sehen konnte, wie sie allesamt durch das Schwert niedergemetzelt wurden. Angeblich wollte Richard die muslimischen Anführer von seinem eisernen Willen
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