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Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)

Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)

Titel: Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward O. Wilson
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wurde. Andere überzeugende Beispiele für die menschliche Bereitschaft zum Lernen sind Sprache, Vermeidung des Inzests und der Erwerb von Phobien.
    Wenn Gruppenverhalten wirklich ein Instinkt ist, der im Bereitschaftslernen zum Ausdruck kommt, sollten wir Zeichen davon schon bei sehr kleinen Kindern erwarten können. Und genau dieses Phänomen wurde von Kognitionspsychologen beobachtet. Neugeborene Kinder sind außerordentlich empfänglich für die ersten Laute, die sie hören, für das Gesicht ihrer Mutter und die Klänge ihrer Muttersprache. Später betrachten sie bevorzugt Personen, die zuvor in Hörnähe ihre Muttersprache gesprochen haben. Vorschulkinder neigen zu Freundschaften mit Sprechern ihrer Muttersprache. Diese Bevorzugungen beginnen schon vor dem sinnerfassenden Sprachverständnis und werden auch dann gezeigt, wenn die Sprache mit verschiedenen Akzenten voll verstanden wird.[ 24 ]
    Der Grundantrieb, eine Gruppenzugehörigkeit herauszubilden und daraus tiefe Befriedigung zu ziehen, lässt sich auf einer höheren Ebene leicht auf Stammesgesellschaften übertragen. Der Mensch neigt zum Ethnozentrismus. Es ist eine unbequeme Tatsache, dass selbst im Fall folgenloser Entscheidungsfreiheit Individuen die Gemeinschaft von Menschen derselben Hautfarbe, Staatsangehörigkeit, Familie oder Religion bevorzugen. Sie vertrauen ihnen mehr, entspannen sich im privaten oder geschäftlichen Bereich leichter und wählen sie häufiger zum Ehepartner als andere. Hingegen geraten sie schneller in Wut, wenn klar ist, dass ein Fremdgruppenmitglied sich unfair verhält oder unverdient belohnt wird. Und sie reagieren feindselig, wenn eine Fremdgruppe auf das Revier oder die Ressourcen der Eigengruppe übergreift. Literatur und Geschichte strotzen von Berichten darüber, was im Extremfall passiert, so etwa folgende Passage aus dem alttestamentlichen Buch Richter:
    Und die Gileaditer besetzten die Furten des Jordans vor Ephraim. Wenn nun einer von den Flüchtlingen Ephraims sprach: Lass mich hinübergehen!, so sprachen die Männer von Gilead zu ihm: Bist du ein Ephraimiter? Wenn er dann antwortete: Nein!, ließen sie ihn sprechen: Schibbolet. Sprach er aber: Sibbolet, weil er’s nicht richtig aussprechen konnte, dann ergriffen sie ihn und erschlugen ihn an den Furten des Jordans, sodass zu der Zeit von Ephraim fielen zweiundvierzigtausend. (Ri 12,5–6)
    Als man in einer Versuchsreihe schwarzen und weißen Amerikanern in schneller Folge Bilder von Menschen der jeweils anderen Hautfarbe vorlegte, wurde ihre Amygdala, das Angstzentrum im Gehirn, so schnell und subtil aktiviert, dass die bewussten Hirnregionen die Reaktion gar nicht wahrnahmen. Der Proband konnte einfach nicht anders. Wurden dagegen geeignete Kontexte mitgeliefert – etwa dass der sich nähernde Schwarze Arzt und der Weiße sein Patient war –, so wurden zwei andere Hirnregionen aktiviert, die mit den höheren Lernzentren in Verbindung stehen (dem Gyrus cinguli und dem dorsolateralen präfrontalen Cortex) und den Input der Amygdala schwächten.[ 25 ]
    Durch Gruppenselektion haben sich also verschiedene Teile des Gehirns herausgebildet, die der Gruppe den höchsten Wert beimessen. Sie folgen der Veranlagung, Mitglieder der Fremdgruppe herabzustufen, oder unterdrücken im Gegenteil die unmittelbaren, autonomen Wirkungen dieser Neigung. Wenige oder gar keine Schuldgefühle trüben das Vergnügen, gewaltsame Sportveranstaltungen und Kriegsfilme anzusehen, vorausgesetzt, die Amygdala bestimmt das Geschehen und die Handlung entwickelt sich so, dass der Feind am Ende zufriedenstellend geschlagen wird.

8.
KRIEG ALS ANGEBORENES ÜBEL DER MENSCHHEIT
    «Die Geschichte ist ein Blutbad», schrieb William James, dessen Aufsatz gegen den Krieg von 1906 wohl der beste ist, der je zu diesem Thema geschrieben wurde. «Der moderne Krieg ist so teuer», heißt es dort weiter, «dass wir der Meinung sind, Handel ist ein besserer Weg zur Ausplünderung; doch der moderne Mensch erbt all die angeborene Kriegslust und alle Ruhmesliebe seiner Vorfahren. Werden die Irrationalität und der Schrecken des Kriegs aufgezeigt, so hat das keinerlei Wirkung auf ihn. Der Schrecken fasziniert ihn erst. Krieg ist das starke Leben; es ist ein Leben in extremis ; Kriegssteuern sind die einzigen, die der Mensch nie zu zahlen scheut, wie die Haushalte aller Nationen es uns beweisen.»[ 26 ]
    Unsere blutrünstige Natur, so lässt sich heute im Kontext der modernen Biologie argumentieren, ist so tief in

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