Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)
neuronalen Bahnen und der hormonalen Steuerung des Unbewussten, die unser Fühlen, Denken und Entscheiden wesentlich beeinflussen. Außerdem besteht der Geist ja nicht nur aus dieser Innenwelt, sondern auch aus den Wahrnehmungen und Botschaften, die durch alle anderen Körperteile ein- und austreten. Den Fortschritt vom Roboter zum Menschen zu schaffen, wäre technologisch unsäglich schwierig. Aber warum sollten wir das überhaupt versuchen wollen? Selbst wo unsere Maschinen unsere mentalen Fähigkeiten bei Weitem übertreffen, werden sie niemals irgendwie der menschlichen Geisteskraft nahe kommen. Und ohnehin brauchen wir solche Roboter nicht, und wir werden sie auch nicht wollen. Der biologische menschliche Geist ist unser ureigenes Terrain. Mit all seinen Launen, der Irrationalität und den riskanten Erträgen, mit all seinen Konflikten und seiner fehlenden Effizienz ist der biologische Geist das Wesen und der eigentliche Sinn des Menschseins.
III.
SOZIALE INSEKTEN EROBERN DIE WELT DER WIRBELLOSEN
12.
DIE ERFINDUNG DER EUSOZIALITÄT
Entscheidend für den Ursprung des Menschseins ist nicht allein unsere Art, weil die Geschichte mit der Menschheit weder anfängt noch aufhört. Entscheidend ist die Evolution sozialen Lebens bei Tieren insgesamt. Betrachten wir das gesamte Spektrum des Sozialverhaltens im Tierreich und nicht nur den Teil, den der Mensch darin darstellt, so zeichnet sich ganz deutlich ein Muster ab, das Evolutionsbiologen bisher selten in Betracht gezogen haben. Es umfasst zwei durch Ursache und Wirkung miteinander verbundene Phänomene. Erstens dominieren unter landbewohnenden Tieren die Arten mit den komplexesten Sozialsystemen. Und zweitens haben sich diese Arten in der Evolution nur selten herausgebildet. Erst durch viele vorausgehende Schritte sind sie in Millionen Jahren der Evolution entstanden. Eine dieser Tierarten ist der Mensch.
Am komplexesten sind eusoziale Systeme – wörtlich Systeme mit «echter sozialer Beschaffenheit». Die Mitglieder einer eusozialen Tiergruppe, etwa einer Ameisenkolonie, gehören mehreren Generationen an. Die Arbeit wird, zumindest äußerlich betrachtet, altruistisch aufgeteilt. Einige Individuen übernehmen Aufgaben, die ihr Leben verkürzen oder die Anzahl ihrer persönlichen Nachkommen reduzieren oder beides. Ihr Opfer erlaubt es denen, die für die Reproduktion zuständig sind, länger zu leben und dementsprechend mehr Nachkommen zu produzieren.
Aufopferung in fortgeschrittenen Gesellschaften reicht weit über Eltern und ihre Nachkommen hinaus. Sie kommt auch sonstigen Verwandten zugute, also Geschwistern, Nichten und Neffen sowie Cousins verschiedenen Grades. Manchmal kommen auch genetisch nicht verwandte Individuen in ihren Genuss.
Eine eusoziale Kolonie hat deutliche Vorteile gegenüber solitären Individuen, die um dieselbe Nische konkurrieren. Einige Koloniemitglieder können Futter suchen, während andere das Nest vor Feinden beschützen. Ein solitärer Konkurrent von einer anderen Art kann entweder Nahrung suchen oder sein Nest verteidigen, nicht aber beides gleichzeitig. Die Kolonie kann gleichzeitig zahlreiche Futtersammler aussenden und zu Hause bleiben, und damit bildet sie ein Überwachungsnetz sowohl innerhalb als auch außerhalb des Nests. Stößt ein Koloniemitglied auf Nahrung, so kann es die anderen informieren, die dann wie eine sich zuziehende Schlinge zum Fundort vordringen. Gemeinsam können die Nestgenossen als Gruppe gegen Rivalen und Feinde kämpfen. Sie können große Futtermengen schneller zum Nest transportieren, bevor Konkurrenten zur Stelle sind. Wirken viele Individuen als Bauarbeiter, kann das Nest schnell vergrößert, in seiner Struktur architektonisch verbessert und an den Eingängen leichter verteidigt werden. In gewissem Ausmaß kann sogar das Klima im Nest reguliert werden. Die Nester der hügelbauenden Termiten in Afrika und der Blattschneiderameisen in Nord- und Südamerika stellen in dieser Hinsicht den Höhepunkt dar: Sie verfügen über eine Klimaanlage, die innerhalb des Nestes ohne weiteren Eingriff der Bewohner kühlende Frischluft zirkulieren lässt.
Bei manchen Arten bilden große Kolonien auch militärartige Formationen aus und überwältigen in Massenangriffen Beutetiere, die für solitäre Individuen unangreifbar sind. Am weitesten sind in dieser Anpassung die afrikanischen Treiberameisen gegangen. Sie marschieren in Kolonnen aus womöglich Millionen Individuen und verspeisen die meisten kleinen
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