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Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)

Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)

Titel: Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward O. Wilson
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schließen, dass sie für den Menschen in letzter Zeit unumgänglich war und es auch weiterhin bleiben wird.
    In der Humangenetik besteht ein Konsens darüber, dass die meisten Varianten in Anatomie und Physiologie, die auf eine geografische Zone beschränkt sind und weithin als rassisch bedingt gelten, gerade nicht auf lokale natürliche Selektion zurückzuführen sind, sondern auf die Emigration verschiedener Gentypen und die zufälligen Fluktuationen der lokalen Genfrequenzen, die zur Gendrift führten. Eine der Ausnahmen stellt die Hautfarbe dar, deren geografische Variabilität auf den Schutz vor UV-Strahlung aus dem Sonnenlicht zurückgeführt wird, die zum Äquator hin zunimmt. Eine weitere Ausnahme ist die ungewöhnlich breite Gesichtsform der Grönländer Kalaallit und der sibirischen Burjaten; dieses Merkmal minimiert als Schutz vor extremer Kälte die Hautoberfläche.
    Evolutionsbedingte Veränderungen der Genfrequenz auf der Ebene eines einzelnen Gens oder einer kleinen Gruppe von Genen, die etwa auf demselben Chromosom liegen, werden von Biologen als Mikroevolution bezeichnet; es steht zu erwarten, dass sie als natürlicher Prozess auf unbestimmte Zeit weitergehen werden. Für die nähere Zukunft stellen Migration und ethnische Mischehen die absolut dominanten Kräfte der Mikroevolution dar, die die Gendistribution weltweit homogenisiert. Auf die Menschheit als Ganzes wirkt sich das, obwohl wir uns derzeit noch in einem frühen Stadium befinden, bereits so aus, dass die Genvariabilität innerhalb der Populationen überall auf der Welt in nie da gewesener Weise ansteigt. Zeitgleich zu diesem Anstieg reduzieren sich die Unterschiede zwischen den Populationen. Wenn diese Bewegung lange genug andauert, wird theoretisch die Bevölkerung von Stockholm irgendwann genetisch identisch mit der von Chicago oder Lagos sein. Insgesamt entstehen an jedem Ort mehr Genotypen. Dieser Wandel, der in der menschlichen Evolutionsgeschichte einmalig ist, lässt zunehmend mehr verschiedene Menschen erwarten und damit neuartige körperliche Schönheit sowie künstlerische und intellektuelle Begabung.
    Die geografische Homogenisierung des Homo sapiens scheint unaufhaltsam, und doch wird sie irgendwann von einer anderen, vermutlich finalen Evolutionskraft abgelöst werden, nämlich der gewollten Selektion. Embryo-Design durch Gensubstitution wird im Experiment bald Wirklichkeit sein und danach zum Kampf gegen Erbkrankheiten eingesetzt werden. Früher oder später wird es in der medizinischen Praxis zu einer therapeutischen Routinebehandlung werden. Je nach den Ergebnissen einer ganz neuen ethisch-moralischen Debatte, die mit Sicherheit sehr intensiv geführt werden wird, könnte bald danach die genetische Überarbeitung normaler Kinder im Embryonalstadium ein Hauptzweig der biomedizinischen Industrie werden. Ich hoffe und neige aus moralischen Gründen auch zu dem Glauben, dass diese Form der eugenetischen Manipulation niemals erlaubt werden wird, so dass die Menschheit zumindest die sozial korrosiven Auswirkungen von Nepotismus und Privilegien vermeiden kann, denen sie zwangsläufig unterliegt.
    Außerdem möchte ich der weit verbreiteten Ansicht widersprechen, künstliche Intelligenz könnte in naher Zukunft die menschliche Intelligenz überrunden und möglicherweise ersetzen. Bestimmt wird es dazu in den Kategorien der reinen Gedächtnisleistung, der Rechenfähigkeit und der Informationssynthese kommen. Vielleicht werden einmal Algorithmen geschrieben, die emotionale Reaktionen und menschenartige Prozesse der Entscheidungsfindung simulieren. Doch selbst wenn sie noch so extrem und effizient sind, bleiben diese Geschöpfe doch immer noch Roboter. Wenn sich irgendein Schluss ziehen lässt aus dem Bild, das die Wissenschaft von der Menschheit entwirft, dann der, dass unsere Art als Ergebnis ihrer Urgeschichte sowohl in den Emotionen also auch im Denken extrem idiosynkratisch ist. Unser besonderer Weg durch das Labyrinth der Evolution hat unsere DNA bei jedem größeren Schritt geprägt. Die Menschheit ist in der Tat einmalig, vielleicht einmaliger, als wir uns je erträumt haben. Doch trotz unserer momentanen Einzigartigkeit auf dieser Erde sind wir psychisch doch nur eine von mehreren mindestens humanoiden Arten, die es hier gegeben hat oder die es, falls wir einmal aussterben sollten, in den Milliarden Jahren geben wird, die die Biosphäre noch vor sich hat.
    Die Wissenschaft beginnt gerade erst mit der Erforschung der

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