Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)
ausgegrabenen Gebeinen die einzigen Fundstücke der ersten Menschen die Asche von Lagerfeuern, Bruchstücke von Werkzeugen, weggeworfene Überreste von Mahlzeiten und sonstiger Abfall. Trotzdem konnten die Forscher dank der neuen Analyse- und Versuchsmethoden immerhin so viel feststellen: Abstraktes Denken und syntaktischer Sprachgebrauch entstanden vor mindestens 70.000 Jahren. Entscheidend für diese Schlussfolgerung sind bestimmte Artefakte und die Deduktion der mentalen Prozesse, die zur Herstellung dieser Artefakte nötig sind. Besonderen Wert hat in dieser Argumentation die Befestigung von Steinspitzen an Speeren. Aufgekommen war dieses Praxis bereits vor 200.000 Jahren sowohl bei den europäischen Neandertalern als auch beim frühen afrikanischen Homo sapiens . Schon für sich genommen war dies eine bedeutende technologische Erfindung; über logisches Denken und Kommunikation sagt sie uns freilich wenig. Vor 70.000 Jahren aber machte der Homo sapiens einen bedeutenden Fortschritt, der nach neuesten Analysen Licht in die kognitive Evolution bringt. Die Befestigung, so die Ergebnisse der Studie, war sehr viel raffinierter geworden. Für die Herstellung der Speere wurden mehrere Arbeitsschritte durchlaufen, vom Erhitzen und Schärfen des abgeschlagenen Steins bis zur Verwendung von Akaziengummi, Bienenwachs und anderen Artefakten, um die Spitze zu befestigen. Was uns das über die Kognition sagen kann, fasste Thomas Wynn schön zusammen:
21.1 Dass die Kultur der Neandertaler im Lauf der Artgeschichte keine wesentlichen Fortschritte machte, liegt wahrscheinlich daran, dass die verschiedenen Gebiete der Intelligenz nicht vernetzt werden konnten, um neue abstrakte Muster zu schaffen und komplexe Szenarien zu erfinden.
«Um die Eigenschaften ihres Arbeitsmaterials zu begreifen (zum Beispiel die Kohäsionskraft), mussten die Handwerker in der Lage sein, die Auswirkungen der Temperatur einzuschätzen, in ihrer Aufmerksamkeit zwischen einzelnen, schnell veränderbaren Variablen hin und her zu schalten und außerdem so flexibel sein, dass sie sich der Variabilität natürlicher Materialien anpassen konnten.» [ 25 ]
Und die Sprache? Ein Bewusstsein, das Abstraktionen vornehmen und sie zu einem komplexen Szenario zusammenbauen kann, kann wohl auch eine syntaktische Sprache mit der Abfolge von Subjekt, Verb und Objekt generieren.
21.2 Möglicher Ablauf im Fortschritt der spätaltsteinzeitlichen Intelligenz und Kultur des Homo sapiens . Der bemerkenswerte Fortschritt der spätaltsteinzeitlichen Kultur des Menschen verdankte sich eindeutig der Fähigkeit, gespeicherte Erinnerungen in verschiedenen Hirnregionen zu verknüpfen und daraus neue Formen der Abstraktion und der Metapher zu bilden.
Auf der Suche nach den Ursprüngen einer Art wird üblicherweise die komparative Biologie bemüht, um zu erfahren, wie andere, eng verwandte Arten lebten und sich entwickelt haben könnten. Die Wissenschaftler, die das Entstehen des menschlichen Geistes erforschen, untersuchten daher auch sehr genau die Neandertaler (Homo neanderthalensis) , über die wir inzwischen eine ganze Menge wissen. Die Schwesterart der modernen Menschheit lebte in Europa, als der Homo sapiens in Afrika gerade seine fortgeschrittenen kognitiven Fähigkeiten entwickelte. Über 200.000 Jahre blieben die Neandertaler dort. Der letzte Vertreter dieser Art, von dem wir Funde besitzen, starb vor etwa 30.000 Jahren in Südspanien. Es ist nahezu sicher, dass die Art durch den Homo sapiens ausgelöscht wurde, als diese anpassungsfähigere Art sich in Europa nach und nach Richtung Norden und Westen ausbreitete.
21.3 Die komplexen Wechselwirkungen verschiedener Funktionen im Gehirn des modernen Menschen lassen sich durch die Aktivität in verschiedenen Gehirnregionen illustrieren, wenn ein Erwachsener a) über Werkzeuggebrauch nachdenkt und b) dasselbe Werkzeug pantomimisch darstellt. Die Aktivitätskarten wurden über funktionale Magnetresonanztomographie (fMRT) erstellt.
Zunächst war es ein fairer Wettkampf. Die Neandertaler starteten Schulter an Schulter mit dem Gegner Homo sapiens , als der noch in Afrika lebte. Ihre Steinwerkzeuge waren anfangs genauso ausgefeilt wie die des Homo sapiens . Ihre Messer hatten gerade, scharfe Kanten und dienten wahrscheinlich zum Schaben. Andere hatten gezähnte Klingen – wahrscheinlich Sägen. Sehr spitze Abschläge waren einfach an Stöcken befestigt und dienten als Speere. Die Werkzeugpalette der Neandertaler scheint wie
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