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Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)

Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)

Titel: Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward O. Wilson
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Wahrscheinlichkeit, dass individuelle Gruppenmitglieder andere Mitglieder derselben Gesellschaft imitieren, die das Merkmal adaptiert haben («Sensibilität für Verhaltensmuster»).
    Um die Lösung für die Streitfrage «Gene oder Kultur» zu illustrieren, halten wir zunächst fest, dass die drei Reihen kultureller Kategorien, die in Abbildung 23.1 dargestellt sind, sich genetisch voneinander unterscheiden. Wählen Sie eine der drei Kategorien und betrachten Sie je einen Punkt unter den beiden Scheiteln, die sich herausgebildet haben (rechts unten, aufgrund der weiter entwickelten Neigung, die Handlungen anderer zu imitieren). Die Punkte stehen für zwei Gesellschaften. Beide Gesellschaften haben wahrscheinlich unterschiedliche Kulturmerkmale ausgebildet, obwohl sie genetisch gleich dafür bedingt sind, nach welchen Regeln sie sie auswählen. Entscheidend für die Divergenz sind die epigenetischen Regeln und die Neigung, andere zu imitieren, und beides ist durch Gen-Kultur-Koevolution entstanden.
    Die Feinheiten der Gen-Kultur-Koevolution sind eine unverzichtbare Grundlage für das Verständnis der Conditio humana. In ihrer Komplexität wirken sie auf den ersten Blick vielleicht befremdlich, weil sie so ungewohnt sind. Doch wenn die Forschung unter der Führung der Evolutionstheorie die richtigen Messungen und Analysen vornimmt, lassen sie sich in ihre wesentlichen Elemente zerlegen.

24.
DER URSPRUNG VON MORAL UND EHRBEGRIFF
    Ist der Mensch von Natur aus gut, wird aber von der Macht des Bösen verdorben? Oder ist er vielmehr von Natur aus verschlagen und nur durch die Macht des Guten zu retten? Beides trifft zu. Und wenn wir nicht unsere Gene verändern, wird es auch immer dabei bleiben; denn das menschliche Dilemma wurde in unserer Evolution festgelegt und ist mithin ein unveränderlicher Teil der menschlichen Natur. Der Mensch und seine sozialen Ordnungen sind von Grund aus unvollkommen – zum Glück. In einer beständig im Wandel befindlichen Welt brauchen wir die Flexibilität, die nur aus der Unvollkommenheit erwachsen kann.
    Das Dilemma zwischen Gut und Böse beruht auf der Multilevel-Selektion, bei der Individualselektion und Gruppenselektion gleichzeitig, aber großteils in entgegengesetzter Richtung auf das Individuum einwirken. Zur Individualselektion kommt es im Überlebens- und Fortpflanzungswettkampf zwischen den Mitgliedern derselben Gruppe. Sie formt bei jedem Mitglied Instinkte heraus, die gegenüber den anderen Mitgliedern grundlegend egoistisch sind. Die Gruppenselektion dagegen ergibt sich aus dem Wettkampf zwischen Gesellschaften, sowohl durch direkten Konflikt als auch durch verschieden hohe Kompetenz bei der Nutzung der Umwelt. Die Gruppenselektion formt Instinkte heraus, die Individuen tendenziell zu Altruisten machen (allerdings nicht gegenüber Mitgliedern anderer Gruppen). Die Individualselektion verantwortet daher einen Großteil dessen, was wir als Sünde bezeichnen, die Gruppenselektion dagegen den größeren Teil der Tugend. Beide begründen den Konflikt zwischen den guten und bösen Anteilen unserer Natur.
    Genau definiert, ergibt sich Individualselektion aus dem unterschiedlichen Überlebens- und Fortpflanzungserfolg von Individuen im Wettkampf mit anderen Gruppenmitgliedern. Gruppenselektion ist der unterschiedliche Überlebens- und Fortpflanzungserfolg der Gene, die für die Merkmale der Interaktionen zwischen Gruppenmitgliedern codieren; wirksam wird sie im Wettkampf mit anderen Gruppen.
    Den ewigen Gärungsprozess der Multilevel-Selektion gedanklich zu durchdringen und anzuwenden, ist die Rolle der Sozial- und Geisteswissenschaften. Ihn zu erklären, ist die Rolle der Naturwissenschaften, und wenn das gelingt, sollte das die Harmonie zwischen den drei Hauptrichtungen der Wissenschaft fördern. Die Sozial- und Geisteswissenschaften widmen sich den proximaten, äußerlich sichtbaren Phänomenen der menschlichen Wahrnehmungen und Gedanken. So, wie die deskriptive Naturgeschichte in Bezug zur Biologie steht, so verhalten sich die Sozial- und Geisteswissenschaften zum menschlichen Selbstverständnis. Sie beschreiben, wie Einzelne fühlen und handeln, und in Geschichte und Schauspiel erzählen sie einen repräsentativen Bruchteil der unendlichen Geschichten, die menschliche Beziehungen generieren können. Das alles aber spielt sich in engen Grenzen ab. Diese bestehen, weil Wahrnehmung und Denken von der menschlichen Natur gesteuert werden, und auch die menschliche Natur steckt in

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