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Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)

Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)

Titel: Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward O. Wilson
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weiterhin nicht vorbereitet.
    Diese Tendenz hat die Gruppenbildung unterwandert, immerhin einen der mächtigsten Impulse des Menschen. Wir unterliegen einem Drang, oder besser noch, einer dringenden Notwendigkeit, die bei unseren frühen Primaten-Vorfahren anfing. Jede Person ist von Natur aus auf der Suche nach einer Gruppe, also ein echtes Stammestier. Befriedigt wird dieses Bedürfnis wahlweise in einer ausgedehnten Familie, in einer organisierten Religionsgemeinschaft, einer Ideologie, ethnischen Gruppe oder einem Sportverein, und das einzeln oder mehrfach. Die Möglichkeiten sind vielfältig. In jeder unserer Gruppen herrschen Wettkampf um Status, aber auch Vertrauen und Tugend, die kennzeichnenden Produkte der Gruppenselektion. Wir machen uns Sorgen. Wir fragen uns, wem in dieser unsteten Welt der zahllos sich überlappenden Gruppen wir unser Vertrauen schenken sollen.

    24.1 In der modernen Gesellschaft wurden soziale Netzwerke (zum Teil dargestellt sind hier die für 140 Universitätsstudenten) viel größer und uneinheitlicher als in prähistorischer und früher historischer Zeit. Die Internet-Revolution, die Anordnungen wie Facebook generierte, katapultierte die Netzwerke jüngst auf eine wieder neue Ebene.
    Unterdessen sind alle unsere Instinkte weiterhin ungeordnet am Werk, aber schon ganz wenige können uns, wenn wir ihnen klugerweise folgen, retten. So empfinden wir zum Beispiel Empathie. Oder wir halten uns zurück. Umfassende neuere Forschung hat uns Einsichten darin vermittelt, wie die Moralimpulse innerhalb des Gehirns funktionieren könnten. Es gibt vielversprechende Ansätze zur Erklärung der Goldenen Regel, die sich vielleicht als einzige Vorschrift in allen organisierten Religionen findet. Die Goldene Regel ist für jede moralische Überlegung grundlegend. Als der große Theologe und Philosoph Rabbi Hillel einmal aufgefordert wurde, die gesamte Tora in der Zeit zu erklären, in der er auf einem Bein stehen konnte, sagte er: «Was dir nicht lieb ist, das tue auch deinem Nächsten nicht. Das ist die ganze Tora und alles andere ist nur die Erläuterung.»
    Genauso gut hätte er von «zwangsläufiger Empathie» sprechen können; das heißt, jeder, der nicht psychisch krank ist, spürt automatisch den Schmerz anderer. Das Gehirn, so argumentiert der Neurobiologe Donald W. Pfaff in seinem Buch The Neuroscience of Fair Play ,[ 46 ] ist ein Organ, das nicht nur einfach in mehrere Bestandteile zerfällt, sondern in widerstreitende Teile. Wir wissen inzwischen viel über die molekularen und zellulären Grundlagen der Urangst, die als Reaktion auf stress- oder wuterzeugende Reize ausgelöst wird. Dagegen wirkt ein automatisches Abschalten angsterzeugender Gedanken, wenn geeignetes altruistisches Verhalten gezeigt wird. Ist ein Individuum im Begriff, sich feindselig und potenziell gewalttätig zu verhalten, so «löst» es sich psychologisch auf. Beim Schlagabtausch von Emotionen überträgt es seine eigene Identität ein Stück weit auf den anderen.
    Das Gehirn unserer janusköpfigen Art ist ein höchst komplexes System sich kreuzender Nervenzellen, Hormone und Neurotransmitter. Es begründet Prozesse, die einander je nach Kontext unterschiedlich verstärken oder ausschalten.
    Angst ist zum Teil eine Folge von Impulsen an die Amygdala, eine mandelförmige Struktur im Gehirn mit Verbindungen zu Nervenbahnen, die gleichzeitig zu Angst, der Erinnerung an Angst und der Unterdrückung von Angst beitragen. Signale, die durch diese Verbindungen gehen, werden verarbeitet und dann an andere Teile des Vorder- und Mittelhirns weitergeleitet. Offenbar kommen die Emotionen der Angst aus der Amygdala, komplexere Angstgedanken über eine bestimmte Person oder einen Gegenstand entstammen aber eher den informationsverarbeitenden Zentren des Zerebralcortex.
    Ein zweiter Hinweis darauf, nach welchen Automatismen die Angst- und Wutunterdrückung verläuft, wurde in den Kreisläufen des vorderen singulären Cortex und der Insula gefunden, die die emotionale Reaktion auf Schmerzempfindung regeln. Diese Nervenbahnen betreffen nicht nur die Reaktion auf eigenen Schmerz, sondern auch die Wahrnehmung von Schmerzen anderer Personen.
    Pfaff ist ein namhafter Wissenschaftler, der sehr zurückhaltend dabei ist, solche Bruchstücke der neueren Hirnforschung so zusammenzusetzen, dass dabei ein Gesamtbild entsteht. Dennoch weiß auch er, wie hilfreich es ist, eine zumindest plausible Arbeitsthese zu einem Phänomen aufzustellen, dessen

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