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Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)

Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)

Titel: Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward O. Wilson
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Geräusche wie Gespräche und Befehle; diese werden manchmal als sehr mächtige und wichtige Gedanken empfunden, sind häufig beruhigend, aber gelegentlich auch bedrohlich. Die Wahnvorstellungen weiten sich auch zu längeren Geschichten aus und könnten zu phantastisch begründeten Weltanschauungen verschmelzen.[ 68 ] Der Fall des Sehers Johannes ist deshalb besonders wichtig, weil das Buch der Offenbarung, Höhe- und Schlusspunkt des Neuen Testaments, konservativen Evangelikalen als Handbuch dient. Johannes’ Träume prägen zutiefst die Weltsicht von Millionen völlig gesunder und verantwortungsvoller Menschen und beeinflussen in unterschiedlichem Ausmaß ihre Lebensführung. Man mag seine Erklärungen vielleicht für wahr halten, aber nach meinem nüchternen Urteil klafft das Bild eines unheilvollen Jesus, der damit droht, Abtrünnige mit einem antiken Schwert zu zerschneiden, so weit mit dem übrigen Neuen Testament auseinander, dass ich eine einfache biologische Erklärung vorziehe.

    25.2 Auf der Suche nach Visionen durch Selbstquälerei. Bei den Mandan-Indianern suchten in einem Ritual Krieger nach Visionen, indem sie sich Lederriemen durch das Fleisch zogen und so lange drehen ließen, bis sie ohnmächtig wurden.

    25.3 Anführer der Mandan Buffalo Bull Society.
    Ohne sich von den übernatürlichen Annahmen der traditionellen Theologie beirren zu lassen, zeichnen jedenfalls heute Historiker gemeinsam mit anderen Gelehrten aus evolutionärer Perspektive die Schritte nach, die zu den hierarchischen und dogmatischen Strukturen moderner Religionen geführt haben.[ 69 ] Irgendwann in der späten Altsteinzeit begann der Mensch über seine eigene Sterblichkeit nachzudenken. Die frühesten bekannten Begräbnisstätten, die Zeichen der Ritualisierung tragen, sind 95.000 Jahre alt. Damals (oder schon früher) müssen die Lebenden gefragt haben: Wohin gehen alle diese Toten? Die Antwort hätte für sie dann auf der Hand gelegen. Die Gegangenen lebten weiter und besuchten die Lebenden regelmäßig wieder – in ihren Träumen. Die verstorbenen Verwandten lebten in der Geisterwelt der Träume und noch lebendiger in den durch Rauschmittel induzierten Halluzinationen, gemeinsam mit Verbündeten, Feinden, Göttern, Engeln, Dämonen und Ungeheuern. Ähnliche Visionen ließen sich, wie spätere Gesellschaften herausfanden, auch durch Fasten, Erschöpfung und Selbstquälerei heraufbeschwören. Heute wie damals verlässt das Bewusstsein jedes Menschen im Schlaf den Körper und tritt in die Geisterwelt ein, die in der neuronalen Brandung seines Gehirns auftaucht.
    Sehr früh schon traten Schamanen auf und übernahmen die Interpretation der Visionen, insbesondere ihrer eigenen, die sie als besonders bedeutsam einschätzten. Sie behaupteten, die Erscheinungen bestimmten über das Schicksal des Stammes. Man nahm an, die übernatürlichen Wesen hätten dieselben Emotionen wie lebende Menschen, und deshalb mussten sie durch Zeremonien verehrt und besänftigt werden. Man musste sie bei Übergangsriten um ihren Segen anflehen – beim Übergang ins Erwachsenenalter, bei Hochzeit und Tod. Mit der jungsteinzeitlichen Revolution und besonders beim Aufkommen von Staaten, als Handels- und Kriegsallianzen geschlossen wurden und verschiedene Stämme um die religiöse Vorherrschaft rangen, wurden manchmal auch die Götter übernommen.
    Mit zunehmender sozialer Komplexität wuchs auch die Verantwortung der Götter für die Aufrechterhaltung der sozialen Stabilität, was ihre menschlichen Vertreter, die Priester, über politische Kontrolle von oben nach unten erreichten. Wirkten politische, militärische und religiöse Anführer zu diesem Zweck zusammen, so wurde das Dogma zur unverrückbaren Tradition. Setzten sich politische Revolutionen durch, so konnten sich religiöse Anführer in der Regel an die neuen Umstände anpassen – typischerweise schlugen sie sich auf die Seite der Aufständischen und milderten die Dogmen der alten Oberschicht ab.
    Als sich bei den Israeliten die ersten Anfänge dessen herausbildeten, was sich später zu den mächtigen abrahamitischen Religionen entwickeln sollte, herrschten noch viele Götter über das auserwählte Volk. In Psalm 86,8 etwa heißt es: «Herr, es ist dir keiner gleich unter den Göttern, und niemand kann tun, was du tust.» Mit der Zeit gewann Jahwe die absolute Macht über die Israeliten. Später empfahl er eher Toleranz gegenüber den Gottheiten benachbarter Reiche, wenn die Zeiten gut waren,

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