Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)
und befahl ansonsten mitleidlose Unterdrückung.
25.4 Prähistorische und frühe historische Tänzer in mystischer Verkleidung mit Tierköpfen. (A) Paläolithische Höhlenmalerei in Trois Frères, Frankreich. (B) Prähistorische San-Malerei in Afvallingskop, Südafrika. (C, D) Gemälde von Sioux aus der amerikanischen Prärie.
Wie in alten Zeiten interessieren sich auch heute die Gläubigen in der Regel nicht besonders für Theologie und schon gar nicht für die Evolutionsschritte, in denen die heutigen Weltreligionen entstanden sind. Stattdessen geht es ihnen um den religiösen Glauben und den Gewinn, den er ihnen verschafft. Die Schöpfungsmythen erklären alles, was sie von der Urgeschichte wissen müssen, um die Einheit des Stammes zu gewährleisten. In Zeiten von Wandel und Gefahr bietet der persönliche Glaube Stabilität und Frieden. Leiden sie unter der Bedrohung oder dem Wettkampf anderer Gruppen, so versichern ihre Mythen den Gläubigen, dass sie in Gottes Augen das Höchste sind. Religiöser Glaube verleiht die psychologische Sicherheit, die nur aus der Zugehörigkeit zu einer Gruppe entspringt, zumal zu einer von Gott gesegneten Gruppe. Zumindest den großen Massen der Anhänger abrahamitischer Religionen verspricht er ewiges Leben nach dem Tod, und zwar im Himmel, nicht in der Hölle – besonders wenn wir uns unter den vielen möglichen Konfessionen für die richtige entscheiden und geloben, deren Riten gläubig zu befolgen.
Was immer Ehrfurcht und Staunen erregen konnte – beides Fähigkeiten des menschlichen Geistes –, eigneten sich über die Jahrhunderte die religiösen Glaubensrichtungen an, in den Meisterwerken der Literatur, der bildenden Kunst, der Musik und Architektur. Dreitausend Jahre Jahwe haben diesen Künsten eine sonst unerreichte ästhetische Macht verliehen. Ich jedenfalls kenne nichts Bewegenderes als das römisch-katholische Luzernar, bei dem das lumen Christi (Licht Christi) der Osterkerze eine dunkle Kathedrale erleuchtet; oder die Choralgesänge für die Gläubigen evangelikaler Gemeinden, die bei einem Altarruf aufstehen und nach vorne ziehen.
Der Genuss dieser Wohltaten erfordert eine Unterwerfung unter Gott oder seinen Sohn, den Erlöser, oder unter beide oder unter seinen als Letztes erwählten Propheten Mohammed. Das ist zu einfach. Man braucht sich nur unterzuordnen, sich einzulassen, die heiligen Schwüre zu wiederholen. Doch fragen wir ganz offen: Wem gilt dieser Gehorsam wirklich? Etwa einem Wesen, das vielleicht in dem Bereich, den der menschliche Geist erfassen kann, überhaupt keine Bedeutung hat – oder vielleicht auch gar nicht existiert? Ja, vielleicht gilt der Gehorsam wirklich Gott. Vielleicht aber auch lediglich einem Stamm, der durch einen Schöpfungsmythos geeint ist. Im zweiten Fall interpretieren wir religiösen Glauben besser als unsichtbare Falle, die in der biologischen Geschichte unserer Art unvermeidlich war. Und wenn das stimmt, dann gibt es sicher Wege der spirituellen Erfüllung, die ohne Selbstaufgabe und Versklavung auskommen. Die Menschheit hat etwas Besseres verdient.
26.
DER URSPRUNG DER KREATIVEN KÜNSTE
So reich und scheinbar grenzenlos die Künste erscheinen mögen, so muss doch jede von ihnen die engen biologischen Kanäle der menschlichen Kognition passieren. Unsere sinnlich erfahrbare Welt, also alles, was wir ohne fremde Hilfe über die außerkörperlichen Realitäten wahrnehmen können, ist erbärmlich klein. Unsere Sehfähigkeit beschränkt sich auf einen winzigen Ausschnitt aus dem elektromagnetischen Spektrum, dessen Wellenlängen von der Gammastrahlung am oberen Ende bis hinunter zum Niederfrequenzbereich reichen, der für besondere Kommunikationsformen genutzt wird. Wir sehen nur ein winziges Fenster in der Mitte davon und bezeichnen es als «Lichtspektrum». Unser optischer Apparat teilt diesen wahrnehmbaren Ausschnitt dann in die verschwommenen Zonen ein, die wir Farben nennen. Gleich hinter Blau kommt bei den Frequenzen Ultraviolett, das Insekten sehen können, wir aber nicht. Von sämtlichen Klangfrequenzen in unserer Umwelt hören wir nur ganz wenige. Fledermäuse orientieren sich über das Echo von Ultraschall, dessen Frequenz aber so hoch ist, dass unsere Ohren ihn nicht wahrnehmen können, und Elefanten kommunizieren über ein für unsere Belange allzu tieffrequentes Grollen.
Tropische Nilhechte nutzen zur Orientierung und Kommunikation im trüben, schlammigen Wasser elektrische Impulse und haben sich daher
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