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Die spaete Ernte des Henry Cage

Die spaete Ernte des Henry Cage

Titel: Die spaete Ernte des Henry Cage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Abbott
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aber er trauerte um seine Bäume. Er hatte sogar überlegt, zu verkaufen und nach New York zurückzugehen, doch das Leben hier war zu angenehm, um es einfach hinter sich zu lassen. Fast jeden Vormittag spielte er Tennis, und in dem warmen Klima Floridas beugte sich sein sechzigjähriger Körper auf vierzigjährigen Knien tiefen Bällen entgegen. Grund genug, hierzubleiben.
    »Alles in Ordnung, Schätzchen, noch etwas Kaffee?«
    Arlene, die Kellnerin mit Männerproblemen, stolzierte um Jack und Nessa herum, die sich unterhielten.
    »Und, wann kommt er?«
    »Er denkt noch darüber nach. Er wird schon kommen – ich glaube nicht, dass er sonst noch viel zu tun hat.«
    »Weiß er, wie es um dich steht?«
    »Nein. Ich sag’s ihm, wenn er hier ist.«
    Nessa stand auf. »Bis morgen, Jack.«
    Er schaute ihr nach. Sie waren beide ungebunden und hatten sich angefreundet, als sie aus England zurückgekehrt war. Mit ein wenig Ermutigung hätte er sich in sie verlieben können, doch sie hatte seine Avancen freundlich abgeblockt, und er hatte sich mit dem zufrieden gegeben, was sie ihm gewährte. Sie waren gute Freunde und Tanzpartner, weiter nichts, doch das hielt sein Herz nicht davon ab, jedes Mal schneller zu schlagen, wenn er sie sah.

    Das Haus, Feriendomizil in Nessas Kindheit, hatte ihrer Mutter gehört. Nun war es das letzte bescheidene Haus am Boulevard, ein eingeschossiger Anachronismus zwischen den Anwesen der Neureichen. Von der Straße her gesehen, duckte es sich in eine Senke, sodass vom Eingangstor aus nur das grün gedeckte Dach zu sehen war. Eine hölzerne Terrasse ging direkt nach Osten. Hinter der Terrasse senkte sich eine schmale Rasenfläche zur Mauer und dem dahinter liegenden Strand. In die Mauer waren Stufen eingelassen worden, und Nessa ging bis zur Wasserlinie. Über ihr segelten Kormorane die Küste entlang. Zu Nessas Füßen folgten Strandläufer eifrigfalschen Fährten. Nessa war nach ihrer Scheidung hierhergezogen, und Meer und Haus hatten sie bei Verstand gehalten.
    Nessa setzte sich an den Strand und streckte die Beine von sich. Sie war stolz auf ihre Beine; selbst jetzt noch war sie den wie Flussdeltas aussehenden Krampfadern und der Cellulite vieler ihrer Freundinnen entgangen. Beiläufig stupste sie die Haut an ihren Oberschenkeln an. Eine ganze Reihe fester, parallel verlaufender Falten erschien. So unwichtig das auch war, ihr kam es dennoch so vor, als sei sie nur einen Fingerstupser entfernt vom Alter, als sei ihre Haut eine Nummer zu groß für ihren Körper. »Ver dammt noch mal«, fluchte sie, ging ins Haus und warf die Tür derart heftig hinter sich zu, dass die Möwen zu einem Flecken zwanzig Meter weiter flatterten.
    Nessa hatte Pech gehabt. Gebärmutterkrebs ist nicht ungewöhnlich und heilbar, wenn man ihn früh diagnostiziert. Der Krebs beginnt normalerweise im Endometrium, der Innenwand des Uterus, und meist verrät er seine Anwesenheit, am häufigsten durch Blutungen nach der Menopause oder durch unregelmäßige oder schwere Blutungen während der Menopause. Für Nessa, die mit fünfzig recht jung war für diese Art von Krebs, hatte es keine offenkundigen Warnsignale gegeben, nichts, was die Gefahr angezeigt hätte. Andere Symptome – Unterleibsschmerzen und enger sitzende Röcke – hatte sie für unbedeutend gehalten. Zwar bemerkte sie, dass ihr Bauch aufgebläht war, doch hatte sie das auf das Alter und das Essen geschoben. Ein Jahr lang bekämpfte sie den Tumormit kalorienarmen Keksen, eine Geschichte, die sie später mit trockenem Humor zum Besten gab. Der Krebs war bösartig und aggressiv gewesen und hatte sich während Nessas Diät tief in die Muskelwand rund um die Gebärmutter eingenistet, dann in den Gebärmutterhals und in die Lymphknoten im Becken und weiter in die Bauchhöhle, bevor er nordwärts zu den Lungen wanderte. Sie hatte Operationen und Chemotherapie über sich ergehen lassen, doch drei Jahre später wusste sie, dass sie nicht überleben würde. Unheilbar. Ihre Onkologin ging davon aus, dass sie vielleicht noch sechs Monate zu leben hatte, höchstens ein Jahr.
    Tom und Jane wussten von Anfang an von ihrem Krebs. Sie hatte ihnen einen fröhlichen, beiläufigen Brief geschrieben; lästig sei er, schrieb sie, wie ein Arm in Gips, unangenehm, aber mit der Zeit würde der Körper sich schon selbst heilen, und bald würde sie wieder ganz die Alte sein. Jane hatte zurückgeschrieben: »Es wird leichter zu ertragen sein, wenn wir ehrlich zueinander sind, oder?« Und

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