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Die spaete Ernte des Henry Cage

Die spaete Ernte des Henry Cage

Titel: Die spaete Ernte des Henry Cage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Abbott
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das waren sie seitdem auch.
    Der Krebs und ihr Enkel waren ungefähr zur selben Zeit in ihr Leben getreten; Hal und Nessa hatten schnell zueinandergefunden, und der Enkel war Nessas beste Therapie. So selbstbewusst und forsch sie mit Erwachsenen war, mit Hal flüsterte sie am Anfang nur.
    »Alles, was sie haben, ist funkelnagelneu«, hatte sie zu Tom gesagt. »Alles unbenutzt, Gehör und Auge hundert Prozent – wir Erwachsenen sollten die Lautstärke ein wenig herunterfahren.« Sie war eine von den Personen, diesich instinktiv hinkauerten, wenn sie mit kleinen Kindern redeten, und in ihrem Gesicht war etwas Ebenmäßiges, dem die Kinder vertrauten.

    Tom und Jane kamen jedes Frühjahr für einen Monat herüber, dann zu Weihnachten noch einmal für drei Wochen. Im Sommer besuchte Nessa Norfolk und blieb den ganzen Juni über dort. Den Monat der Gaben und Geschenke, so nannte sie ihn. War es Spätfrühling, dann konnte sie noch den Schaum des Wiesenkerbels auf den Wegen erleben, kam die Wärme früh, bedeutete dies, dass die alten Rosen in den großartigen Gärten blühten, die sie besuchten. Wie immer auch der Frühling gewesen war, der Juni auf dem Land in Norfolk bot reichlich Entschädigung. Nessa liebte diesen sanften Reichtum und dachte oft an den Garten, den Henry und sie in London geschaffen hatten; abgesehen von Tom ihr erfolgreichstes Gemeinschaftsunternehmen.

    In Florida war das anders. Was die Engländer Gartenarbeit nannten, nannte man hier Instandhaltung, und je weniger davon, desto besser. In Nessas Garten gab es keine Blumen – sie hasste die protzigen Farben der Fleißigen Lieschen, die am Boulevard jede Einfahrt säumen. Ihr Garten war ganz dem Gras gewidmet, dem federfiedrigen Weidelgras, das Sonne und Salzwasser überlebt. Sie hatte schwer zu kämpfen, um die dreißig geerbten Kokospalmen zu erhalten, die das Haus umstanden.
    Früher waren die Palmen in Florida weit verbreitetgewesen, doch waren sie in den Siebzigern durch die Dürrfleckenkrankheit beinahe ausgerottet worden. Von ursprünglich siebzigtausend Palmen in den Dreißigern waren nur noch sechzehntausend übrig geblieben. Nessas Palmen erhielten wie die meisten Kokospalmen in West Palm Beach regelmäßig Injektionen. Die Bäume waren noch immer befallen, und wenn man sie nicht behandelte, verfärbten sich ihre Wedel gelb und starben ab, also bezahlte Nessa alle drei Monate einen Mann dafür, ihren Palmen eine Spritze zu geben.
    »Ich lebe an einem Ort«, sagte sie zu Tom, »wo selbst die blöden Bäume nur mit Injektionen am Leben bleiben.«

5.
    Die junge Frau in der Brasserie stritt sich mit dem jungen Mann, der ihr gegenübersaß. Henry konnte nur den Rücken des Mannes sehen, doch schien er der Ruhigere von beiden zu sein. Sie war wütend, sprach laute Worte leise aus, verweigerte ihnen die Lautstärke, die sie normalerweise verlangten, um nur ja keine Aufmerksamkeit zu erregen. Sie war erstaunlich hübsch.
    Henrys Erfahrung nach machte Wut nur selten schön. Sie machte vielleicht die Wangen rosig und verlieh den Augen Glanz, doch wurden diese Vorzüge meist durch ein Vorrecken des Kinns und ein hässliches Verzerren des Mundes zunichtegemacht. In diesem Fall jedoch hatte die Wut nichts dergleichen getan. Die junge Frau sah blendend aus.
    Eine plötzliche Bewegung unterbrach seine Gedanken, Stühle wurden zurückgeschoben, das Pärchen stand auf; Henry erkannte tief beunruhigt, dass sie die Plätze tauschten. Der junge Mann warf ihm einen Blick zu, bevor ersich hinsetzte. Henry kam das Gesicht bekannt vor, doch hatte er keine Zeit, es länger zu betrachten. Es wurde ihm bewusst, dass er unachtsam gewesen war, darum senkte er den Blick und blätterte um. Seit Neujahr fand er es zunehmend schwieriger, sich zu konzentrieren. Selbst Lesen interessierte ihn nicht mehr so. An den Wochenenden war er regelmäßig zum Round Pond in Kensington Gardens gegangen, doch war er bestürzt gewesen, als die Modellbootliebhaber anfingen, ihn wie einen verloren geglaubten Freund zu grüßen. Er hielt sie für besessene Eigenbrötler; immer und immer wieder ließen sie ihre Boote zu Wasser und zogen sie wieder heraus, fummelten an der Takelage herum, schraubten an den Fernbedienungen. Ihr Eifer wirkte lachhaft. Machte Henry wirklich den Eindruck, sich ihnen anschließen zu wollen?
    Henry wusste, er brauchte wieder Urlaub. Seine Nase war verheilt, aber er schlief schlecht. Die willkürliche Gewalt auf der Westminster Bridge hatte ihn verändert. Er war

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