Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die spaete Ernte des Henry Cage

Die spaete Ernte des Henry Cage

Titel: Die spaete Ernte des Henry Cage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Abbott
Vom Netzwerk:
saßen am Küchentisch. Nessa war ruhig, sie hatte sich alles zurechtgelegt. »Ich habe dich letzte Woche gesehen. Dein Buch hatte einen roten Umschlag, ich hab’s gesehen, als wir aus der Wohnung kamen. Ich wusste, dass du uns zum Kino gefolgt bist.«
    Henry verzog das Gesicht. »Tut mir leid. Das war grausam. Der Film war nicht gut genug, um ihn zweimal aufzuschauen.«
    Sie blickte auf. »Glaubst du vielleicht, ich habe ihn beide Male gesehen?«
    »Nein, wohl nicht.«
    »Er ist Schauspieler, er hat einen Kommentar für mich gesprochen. Ich schlafe seit drei – nein, vier Monaten mit ihm.«
    Ihre Präzision, ihr spätes Bedürfnis, ehrlich zu sein, trafen ihn mit voller Wucht. Mit gesenktem Kopf hielt er die Tränen zurück.
    »Ach, komm schon, Henry, reg dich nicht auf. Ich kann das beenden. Es bedeutet mir nicht viel. Ich mag ihn eigentlich nicht sehr. Das ist doch nicht das Ende zwischen uns. Willst du denn nicht wissen, warum ich mich mit ihm getroffen habe?«
    »Ich glaube nicht.«
    Nessa verließ die Küche auf Zehenspitzen, wie ein Krankenzimmer. Leise schloss sie die Tür hinter sich, und Henry hörte das Klappern ihrer schneller werdenden Schritte auf der Treppe. Sie konnte nicht schnell genug fortkommen. Wirklich gemein wurde es erst später.

6.
    Ein paar Tage lang hielt sich Henry von der Brasserie fern. Stattdessen ging er in eine neue Kaffeebar auf der King’s Road, die Filiale einer Kette, die von Tony Blair als Beispiel für eine neue Geschäftsidee hoch gelobt worden war. Henry, der sich noch an den Kaffeebar-Boom der Sechziger erinnerte, fand wenig Neues daran, von den Schlangen einmal abgesehen.
    Ihm kam es vor, als sei die Bar absichtlich so gestaltet worden, dass es zu Wartezeiten kommen musste. Sie war für eine Generation konzipiert, die die Bestätigung der Masse brauchte – das vertraute Logo auf dem Polohemd, die Turnschuhe mit dem richtigen Häkchen, Nachtclubs mit beruhigenden Warteschlangen. Wie sonst ließ sich die fehlerhafte Logistik in dem Laden erklären?
    Das Design war viel zu ineffizient, um Zufall zu sein. Fehler in solchem Umfang musste man planen. Wozu sonst die einsame Serviertheke und eine einzige Kasse? Warum sonst das bunte Durcheinander aus Sofortverzehr undMitnahme? Wozu die ausgefallene Liste verschiedener Kaffeeoptionen (die für weitere Verlangsamung sorgte)? Wozu der Neuling an der Kasse, und das zu Spitzenzeiten?
    Das war die Geschäftsformel eines Genies. Wie lange würde es wohl dauern, bis ein frisch geadelter Lord Coffee nach Westminster gerufen wurde, um die neueste Eingreiftruppe des Premierministers für jugendzentrierte Unternehmungen zu leiten?
    Henry beschloss, wieder in der Brasserie zu frühstücken, aber erst eine halbe Stunde später. Um neun Uhr war dort eine andere Klientel, bis dahin würden wohl auch die wütende junge Frau und ihr Freund schon fort sein. Die neue Routine hatte gut begonnen. Als Henry das Haus verließ, war er am Tor auf den Postboten gestoßen. Das schien ihm ein gutes Omen. Indem er einfach eine halbe Stunde später begann, hatte er bereits die Form seines Tages verändert. Er hatte seine Briefe Stunden früher in Händen als normalerweise. Vielleicht wäre er als Spätstarter glücklicher gewesen. Wenn er die Zeit gefunden hätte, mit Nessa daheim zu frühstücken, dann wäre er vielleicht nicht geschieden und müsste sich keine Gedanken um eine junge Frau machen, die er in der Brasserie angestarrt hatte.
    Da saß sie mit ihrem Freund, an einem Ecktisch, heute beide ganz liebenswürdig. Der Laden war voll, und Henry hatte Schwierigkeiten, einen Sitzplatz zu finden. Er hatte die beiden in einem der Spiegel gesehen und gehofft, dass sie ihn nicht bemerkt hatten. Er fand einen Tisch ganz hinten und bestellte Kaffee und ein Croissant.
    Einer der Briefe, die am Morgen angekommen waren,stammte von Simon Alders, einem Verlegerfreund, der Henry darum bitten wollte, ein kurzes ABC des Managements zu schreiben, je persönlicher, desto besser. Es sollte für eine bekannte Reihe sein; die Anfrage überraschte Henry. Er kannte Simon schon seit Jahren. In jungen Jahren hatten sie gemeinsam als peinlich berührte Praktikanten in der Abonnementabteilung einer Wochenzeitschrift für Frauen gearbeitet. Henry war in die Wirtschaft gegangen, Simon hatte einen Roman geschrieben. Sein Buch mit dem Titel »Remittende«, das zwei Jahre später erschien, war eine moralisierende Geschichte über das Altern gewesen. Leider hatte sich der Titel als

Weitere Kostenlose Bücher