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Die spaete Ernte des Henry Cage

Die spaete Ernte des Henry Cage

Titel: Die spaete Ernte des Henry Cage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Abbott
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die Tür.
    Die Polizei war mitfühlend und gab Henry die Nummer eines Mannes, der sein Fenster zunageln würde. Sie waren ehrlich genug einzuräumen, dass die Chancen, den Täter zu identifizieren, bei null lagen, es sei denn, er oder sie wiederholte die Tat und wurde unachtsam. Die Beamten versprachen, für die kommenden Nächte einen Streifenwagen durch die Straße patrouillieren zu lassen. »Gut möglich, dass es nur ein willkürlicher Gewaltakt war. Es hätte genauso gut das Haus nebenan treffen können.«
    Es war allerdings nicht das Haus nebenan, dem man am Wochenende Hundekot durch den Briefschlitz warf, und auch nicht des Nachbars Garten, der in der folgenden Dienstagnacht mit Industriebleiche verseucht wurde. Die Polizei musste einräumen, dass es sich um gezielten Vandalismus handelte, und dehnte die Nachtstreifen aus, doch abgesehen davon, Henrys Haus rund um die Uhr zu observieren (was aus Mangel an Einsatzkräften nicht möglich war), gab es nichts, was sie hätte tun können. Sieschlugen vor, Henry könne doch vielleicht eine private Sicherheitsfirma beauftragen – die Beamten gingen wohl davon aus, dass er sich das leisten konnte.
    »Hab Sie die Tage in der Glotze gesehen, Sir. Hübscher Anzug.«

    Bislang hatte das Leben Henry noch keine Gelegenheit gegeben, herauszufinden, ob er mutig war. Während des Zweiten Weltkriegs war er noch klein gewesen, und er trug seinen Schulranzen lang genug, um der Einberufung und den Konfrontationen in den fünfziger Jahren zu entgehen. In der Schule war er Streit aus dem Weg gegangen und stets gut darin gewesen, sich Ärger mit Worten vom Leib zu halten. Er hatte Höhenangst, aber das machte ihn noch nicht zum Feigling, obwohl er vermutete, einer zu sein. Wenn ein wild gewordenes Pferd kurz davor war, ein Kind niederzutrampeln, würde er lossprinten und das Kind hochnehmen, oder wäre er wie gelähmt, zu versteinert, um zu handeln? Warum fährt dem einen das Adrenalin in die Beine und dem anderen in die Fäuste? Angesichts einer Gefahr – würde er davonlaufen oder kämpfen?
    Einmal, in Cambridge, hatte Henry bei einem nächtlichen Streich mitgemacht. Eine Gruppe von Freunden und er waren wegen einer Wette in ein benachbartes College eingestiegen, um die Ruder des Achters aus der Pförtnerloge zu klauen. Sie hatten was geraucht und auch ziemlich viel getrunken, aber sie hatten es geschafft, die Ruder an sich zu bringen und dem Collegedirektor später eine alberne Lösegeldforderung zu schicken. Woran sichHenry allerdings am deutlichsten in jener Nacht erinnerte, waren die Ereignisse zuvor.
    Wie ein Einsatzkommando hatten sie tief geduckt, einer nach dem anderen, den Rasen im Haupthof überquert und sich in die sicheren Schatten des Kreuzgangs gedrückt. Der Letzte von ihnen hatte es gerade geschafft, als ein Lichtkeil auf den Rasen fiel – ein Portier war aus einem der Treppenhäuser gekommen, um eine Zigarette zu rauchen. Henry hatte sich hinter einer Säule versteckt und seine schwere Taschenlampe in die Höhe gereckt, um dem Portier falls nötig eins über den Kopf zu ziehen. Eine krasse Überreaktion. Noch heute schauderte ihm bei dem Gedanken, was wohl geschehen wäre, wenn er den armen Mann zu Boden geschlagen hätte. Henry wäre mit Sicherheit von der Uni geflogen, vielleicht sogar im Gefängnis gelandet. Doch in der Hitze der Ereignisse war er dazu bereit gewesen. Es wäre keine mutige Tat gewesen. Der Portier hatte nur seine Kippe zur Verteidigung gehabt, und Henry war nicht in Gefahr gewesen. Was würde er heute tun, wenn er dem Vandalen gegenüberstand? Henry wusste es nicht.

    Nachdem die Polizei ihre Patrouillen eingestellt hatte, war in der darauffolgenden Nacht Henrys Wagen das Ziel. Eine Dose weißer Farbe war auf der Motorhaube seines Mercedes versprüht worden. Das ergab keinen Sinn. Ein paar Tage später erhielt Henry einen Brief. In dem Umschlag steckte ein einzelnes Blatt, auf das jemand mit blauem Filzstift den Buchstaben P geschrieben hatte. DerPoststempel bewies, dass der Brief in Clerkenwell abgeschickt worden war. Am folgenden Tag kam ein weiterer Umschlag, Poststempel S.E. 3, mit dem Buchstaben E darin. Am dritten Tag war es der Buchstabe R (in Hampstead abgestempelt); Henry konnte sich schon gut vorstellen, worauf die Korrespondenz hinauslief. Der folgende Brief, wieder in einem anderen Teil der Stadt aufgegeben, bestätigte seine Vermutung: Jemand, dem die Briefmarken nicht ausgingen, schimpfte ihn einen Perversen.
    »Ich habe bei

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