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Die spaete Ernte des Henry Cage

Die spaete Ernte des Henry Cage

Titel: Die spaete Ernte des Henry Cage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Abbott
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las, sah er, dass sie sowieso keine sonderlich überschwängliche Bewerberin gewesen war. Sie hatte geschrieben, sie habe einen wachen Verstand, und ihre Tanzkarriere habe sie Disziplin gelehrt. Sie sei begierig darauf, zu erfahren, ob diese Qualitäten es ihr erlauben würden, als Unternehmensberaterin voranzukommen.
    Ed sah von seiner gegrillten Seezunge auf. »Sie haben doch an der Marktanalyse für unsere französischen Freunde gearbeitet, richtig? Die wollen hier Fuß fassen?«
    »Ja, Lampen und Beleuchtungskörper, vor allem Glühbirnen, soweit ich das beurteilen kann. Jede Menge Teamsitzungen die ganze Zeit.«
    »Ah, ich verstehe.« Wieder neigte Ed den Kopf zur Seite. »Sie sollten uns nicht nach den Kunden beurteilen, die sind öde – all diese ›guten Stuben‹ im abgelegenen Basildon oder Epsom –, keiner sagt die Wahrheit, ziemlich fürchterlich, ich weiß. Aber darum geht es in diesem Job eigentlich nicht; wenn die sechs Monate um sind, werden Sie in Ihrem ganzen Leben nie wieder zu einer Teamsitzung gehen müssen.« Er musste sich schwer zurückhalten, nicht seine Hand auf die ihre zu legen und sie besänftigend zu streicheln.
    »Das weiß ich.«
    Sie spürte, wie sie sich ebenfalls zur Seite neigte und seine Bewegungen spiegelte, so, wie manche Menschen unbewusst den Akzent eines Begleiters annehmen.
    »Die Mechanik des Jobs ist nicht das Problem; meine Unzufriedenheit ist grundlegender. Schauen Sie, ich habe erkannt, dass es mich nicht interessiert, wie viele Glühbirnen der Durchschnittshaushalt im Monat kauft, und ich bin sicher, das wäre bei Rentenversicherungen oder Wasserenthärtern nicht anders. Das sind alles keine Dinge, um die ich mir Sorgen machen möchte; ich will nicht, dass sie mir den Verstand verkleistern. Ich will nicht, dass meine Stimmungen von einem montagmorgendlichen Ausdruck irgendwelcher Verkaufszahlen abhängig sind.«
    Sie lächelte ihn an. »Das wusste ich nicht, bevor ich hier anfing, aber jetzt weiß ich es. Tut mir leid.«
    Er hatte ihr den Scheck gegeben und gesagt, sie solle am Nachmittag ihren Schreibtisch räumen. So sei nun mal dieFirmenpolitik. Aber er war freundlich geblieben und hatte ihr alles Gute gewünscht.
    »Und was machen Sie jetzt?«
    »Mir einen Job suchen, keine Ahnung, kellnern, mal sehen, was kommt.«

    Maude wohnte in einer Mietwohnung im Norden von London, in einer Straße, in der jedes Edwardianische Haus umgebaut worden war. Die Bauherren hatten einen Weg gefunden, aus Wein Wasser zu machen, indem sie große, elegante Zimmer in winzige Wohnungen umwandelten. Was früher mal ein eindrucksvoller Salon oder ein Schlafgemach gewesen war, wurde zu einer Wohneinheit mit Miniküche, Schlafzimmer und Klo mit Dusche. Dass im Schlafzimmer kein Fenster war, dass die Trennwände so dünn waren, dass man im Nachbarzimmer die Eiswürfel in ein Glas purzeln hörte, schien niemanden zu stören. Kaum waren die Wohnungen fertig, wurden sie verkauft oder vermietet. Die Straße konnte gar nicht all die Autos und Anwohner verkraften. Die Müllabfuhr kam zweimal die Woche, doch immer wieder gab es jemanden, der seinen Müll zu spät rausstellte. Maudes Straße war ein Nachtrestaurant für streunende Hunde und städtische Füchse geworden. Die Postboten mussten mit gesenktem Blick die Post austragen, um Hundekot und aufgeplatzten Müllbeuteln ausweichen zu können. Parken in zweiter Reihe war normal, das Hupen zugeparkter Fahrer tägliche Musik.
    Maude schätzte sich glücklich, denn sie hatte einen Dachbodenumbau. Es gab ein kleines Wohnzimmer mitKochnische, ein Bad und, das Beste, ein Schlafzimmer mit einem großen Oberlicht im Dach. Sie hatte die Matratze auf den Boden direkt unter das Dachfenster gelegt, und in wolkenlosen Nächten lag sie da und badete im Mondlicht.
    Maude hatte die Wände und die Decke so angemalt, dass der Raum wie eine schattige Gartenlaube wirken sollte; die Bäume hatte sie in der Art von Mary Adshead gemalt, einer berühmten Wandmalerin der dreißiger Jahre. Maudes Abschluss in Kunstgeschichte hatte ihr Auge geschult, aber nicht ihre Hand, und ihre in Rolltechnik gemalten Blätter sahen eher nach Kohl aus als nach Baum.
    Der einzige Mann, der je über Nacht geblieben war, hatte beim Aufwachen laut gelacht.
    »Ich hoffe, du hast nichts für diese Rolltechnik bezahlt«, hatte er gesagt und nach oben geschaut.
    »Hab ich selbst gemacht.«
    »Ich zeig’s dir. Du musst die Bewegungen eng und sorgfältig ausführen. Und vergiss nicht, deine

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