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Die spaete Ernte des Henry Cage

Die spaete Ernte des Henry Cage

Titel: Die spaete Ernte des Henry Cage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Abbott
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Dinge, von denen er annahm, dass sie Henry wohl durch den Kopf gingen. Es sollte der wahre, bedauernde Henry sein. Doch Jack brachte es nicht über sich, all das auszusprechen. Ihm missfiel dieses egozentrische, jämmerliche Schuldgefühl, das Henry mit sich herumschleppte. Verdammter Kerl, warum war er nicht hier und hielt seine eigene Rede?
    Jack konnte Henrys Stimme nachahmen, aber er konnte nicht Henry sein; dessen kühle Art bekam er nicht hin.
    Ein Satz fiel ihm ein, einer aus dem riesigen Fundus seines Schauspielergedächtnisses. Nicht der beste Satz,bei Weitem nicht, aber der einzige, der ihm in den Sinn kam. Als Henry hier aufgetaucht war, hatte er sie da nicht am Strand getroffen? Hatte nicht dort ihre Versöhnung begonnen?
    Jack beugte sich zu Nessas Ohr hinüber und flüsterte: »Weißt du, ich habe gelebt wie der alte Robinson, schiffbrüchig unter acht Millionen Menschen. Und eines Tages sah ich einen Fußabdruck im Sand – und da warst du.«
    War er zu weit gegangen? Jack studierte ängstlich Nessas Gesicht, rechnete mit einem leichten Kräuseln der Lippen oder Runzeln der Stirn. Nichts. Zu ihrer besten Zeit hätte sie abfällig geschnaubt.
    Wahrscheinlich hätte sie den Satz erkannt. Er stammte aus Billy Wilders
Das Appartement
; Jack Lemmon hatte gerade die Spaghetti für Shirley MacLaine mit einem Tennisschläger abgegossen.
    Jack hörte auf, sich zu verstellen. »Nessa, es tut mir so leid.«
    Jack schämte sich. Er beugte sich vor, um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben, küsste sie aber auf die Lippen. Er war nahe genug, um die Stille zu hören, als Nessa aufhörte zu atmen.

34.
    Als Henry anrief, saß Mrs Abraham gerade auf der Treppe und erholte sich von einem Beinaheunfall. Sie hatte die Glühbirne in einer der Wandlampen auf dem Treppenabsatz gewechselt. Eine schwierige Aufgabe, denn selbst mit einer Trittleiter konnte sie die Fassung nicht sehen und musste die Glühbirne blind in die Fassung drehen. Dabei hatte sie sich ein wenig zu weit vorgebeugt, und die Leiter hatte gewackelt. Mrs Abraham hatte sie zwar wieder zum Stehen bringen können, doch der Zwischenfall hatte sie aufgewühlt, und sie hatte die Birne einfach in der Fassung stecken lassen und war von der Leiter gestiegen. Ich versuch’s später noch mal, dachte sie.
    Henry hatte ihr die Nachricht am Telefon ohne Umschweife überbracht.
    »Tut mir leid, dass ich eine traurige Nachricht habe, Peggy, aber Nessa ist gestern Nachmittag gestorben.«
    Henry hatte sie noch nie Peggy genannt; diese Vertraulichkeit machte sie ebenso sprachlos wie die Neuigkeit. Siewusste nicht, was sie erwidern sollte, und wartete, dass er weitersprach.
    »Ich hab sie verfehlt.«
    »Aber natürlich. Mir auch, mir wird sie auch fehlen.«
    »Um etwa eine Stunde – ich bin eine Stunde zu spät gekommen.«
    »Ach so, ich verstehe.«
    »Jack war bei ihr. Nessa ist nicht mehr zu Bewusstsein gekommen – sie ist einfach von uns gegangen.«
    Mrs Abraham war nachsichtig mit ihm.
    »Sie konnten einfach nicht schneller bei ihr sein, Mr Cage.«
    »Nein, wahrscheinlich nicht.«
    Beide schwiegen und dachten an ihre Meinungsverschiedenheit über Henrys vorzeitige Rückkehr nach London.
    Als Henry wieder sprach, klang er lebhafter. »Tom und Jane fliegen am Donnerstag nach der Einäscherung zurück, aber ich bleibe noch ein, zwei Wochen, um alles zu regeln. Ich gebe Ihnen dann Bescheid. Alles in Ordnung bei Ihnen?«
    »Ja, Mr Cage, hier ist alles beim Alten.«
    Aber ihr Gefühl sagte etwas anderes. Mrs Abraham, die Arbeit niemals scheute, wusste, dass die Arbeit für heute beendet war.
    Sie ging ins Esszimmer hinüber. Wie oft hatte sie Nessa dabei geholfen, das Zimmer für eine Abendgesellschaft herzurichten? Und jedes Mal hatte es Spaß gemacht. Der Esstisch war hellgrau lackiert, mit einer dunkelgrauenKante. Schwedisch, aus einem Geschäft an der King’s Road.
    »Henry hätte lieber etwas Formelleres gehabt, aber ich kann braunes Holz nicht ausstehen«, hatte Nessa zu Peggy gesagt, als der Tisch geliefert worden war. Dann hatten sie beide über die komischen Vorstellungen der Männer gelacht. (Wobei Mrs Abrahams Kichern eher diplomatischer Natur gewesen war. In ihrem eigenen Wohnzimmer stand ein Esstisch aus Mahagoni – drei Jahre lang auf Raten abgestottert und in Ehren gehalten.)
    An Festtagen und wenn sie gebraucht wurde, half Mrs Abraham Nessa dabei, zwei Zusatzplatten vom Dachboden zu holen, dann konnten sich achtzehn Personen an den Tisch setzen, alle mit

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