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Die spaete Ernte des Henry Cage

Die spaete Ernte des Henry Cage

Titel: Die spaete Ernte des Henry Cage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Abbott
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hoffte, nicht allein zu bleiben.
    Henry hatte drei Stunden zuvor auf dem Weg nach LaGuardia angerufen. Es würde noch mindestens eine Stunde dauern, bevor er im Krankenhaus sein konnte. Tom und Jane waren gerade in Miami gelandet.
    Nessa lag auf dem Rücken; ihr Kopf ruhte auf zwei festen Kissen. In dem Zimmer war es kühl, und ihr Körper war von einer leichten, luftigen Decke bedeckt, doch sie war alles andere als ruhig und stieß die Decke von sich, sodass Jack die flachen Ebenen ihres Körpers unter dem Nachthemd sehen konnte. Ihre Gliedmaßen zuckten und ruckten. Noch beunruhigender war allerdings, dass ihr steter, rasselnder Atem regelmäßig von einem kehligen Schrei unterbrochen wurde. Jack machte sich Sorgen, sie könne Schmerzen haben, und hatte die Krankenschwester gerufen.
    »Es ist nichts, Jack – der Körper fährt seine Funktionen herunter. Nessa spürt nichts – ihr Hirn hält gerade nochihre Atmung in Gang. Es schickt das Blut umher, mehr nicht. Sie verspürt keine Schmerzen.«
    Das musste wohl stimmen. Die Ärzte hatten gestern das Morphin abgesetzt. Sie wollten wohl nichts vergeuden, vermutete Jack.
    »Stimmt es, dass als Letztes das Hören aussetzt?«
    »Das weiß ich nicht, Jack, aber Sie können ja mit ihr reden, wenn Sie wollen. Sie war so eine nette Dame, hat immer gern geplaudert.«
    Jack fiel auf, dass die Krankenschwester in der Vergangenheitsform sprach.
    Sie richtete die Decke und sagte zu ihm, er solle sich melden, falls sich etwas an der Atmung verändere, und ging.

    Also begann Jack mit einer Stegreifaufführung für ein Publikum, das aus einer einzigen Person bestand. Kein Kritiker besprach seine Darbietung, und er selbst verlor nie ein Wort darüber, auch wenn er in den folgenden Jahren in Henrys Gegenwart häufig versucht war, es zu tun.
    Als Erstes sprach er über das Haus. Er sei am Vormittag dort gewesen. Alles sei in Ordnung, sagte er. Er habe Blumen in die Küche gestellt. Im Kühlschrank sei Essen für Tom und Jane. Sie würden bald hier sein. Und er habe die Veranda gefegt, weil er ja wisse, dass sie keinen Sand im Wohnzimmer möge.
    »Und das Meer, Nessa – du solltest heute mal das Meer sehen. Wunderschön, so friedlich.«
    Jack ging ans Fenster. Zwei Krankenschwestern standenin den dunklen Schatten eines Paradiesbaums. Die Glut ihrer Zigaretten leuchtete, eine von ihnen warf ihre Kippe auf das abgetretene Gras. Die beiden waren jung und hatten schlanke Arme. Jack öffnete das Fenster und schloss es sofort wieder, als ihr Lachen durch die warme Luft zu ihnen drang.
    »Weißt du, was? Ich war schon achtzehn, als ich zum ersten Mal das Meer sah. Wir lebten in Richmond, Virginia – ein ziemliches Stück von der Küste weg, und mein Vater war kein Mann, der gerne etwas Neues kennenlernte.«
    Jack versuchte, sich an das Gesicht seines Vaters zu erinnern. Er sah den schmalen Schnurrbart und die hohe Stirn vor sich, doch alles andere war verschwommen.
    »Die Wahrheit ist, sein Krebs war das größte Abenteuer, das mein Dad jemals erlebte. Selbst am helllichten Tag fuhr er mit Abblendlicht. Ich glaube nicht, dass er jemals daran gedacht hat, ans Meer zu fahren. ›Wozu?‹, hätte er wohl gefragt. In dem Sommer, in dem er starb, bin ich nach Los Angeles getrampt. Mein erster Strand war Santa Monica. Kein schlechter Anfang, oder?«
    Er wandte sich vom Fenster ab und sah, dass Nessa ihre Arme wieder von der Decke befreit hatte. Sie war unruhig, ihr rechter Arm ruderte durch die Luft, auf und nieder, ihr Atem ging noch schneller. Jack eilte zu ihr und hielt ihre Hand.
    »Ist schon gut, Nessa, meine Liebe. Ich bin’s, Henry, ich bin da.«
    Er hielt inne.
    Er war von sich selbst überrascht. Es war eine instinktive Handlung gewesen: vor Publikum zu spielen, dem Publikum zu geben, was es verlangte. Ohne nachzudenken, hatte er Henrys Akzent und Sprachmelodie angenommen. Wieder mal ein Voice-Over gegen die Uhr; nach zwanzig Jahren Berufserfahrung war er darin perfekt.
    Nessas Atmung hatte sich beruhigt. Sie wurde ruhig. Jacks Instinkt hatte ihn nicht getäuscht; sie hielt Henry zuliebe durch.
    »Ich liebe dich, Nessa.«
    Keine Reaktion.
    »Ich habe dich immer geliebt.«
    Er brachte es nicht über sich, Henry von allem freizusprechen.
    »Auch wenn ich es dir nicht immer gesagt habe.«
    Jack wollte noch etwas über die letzten paar Wochen sagen – wie besonders sie gewesen waren; wie sehr er es bedauere, nicht öfter getanzt zu haben, so viel Zeit vergeudet zu haben –, all die

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