Die spaete Ernte des Henry Cage
reichlich Ellbogenfreiheit.
Bei Mrs Abrahams voriger Stelle hätten sie die besten Kerzenleuchter und Serviettenringe und die Silbervögel von Asprey hervorgeholt. Aber das war nicht Nessas Stil.
»Das ist doch kein Staatsempfang, oder, Peggy? Nur ein paar Freunde zum Essen – wir wollen Spaß haben.«
Bei einer Sommerparty hatte sie zwölf Krüge mit Wicken auf den Tisch gestellt, dazwischen große honigfarbene Kerzen. Mrs Abraham hatte an dem Abend ausgeholfen; den warmen Duft würde sie nie wieder vergessen.
Als Tom noch ganz klein war, hatte Nessa ihn immer so genannt, erinnerte sich Mrs Abraham. »Na, wo ist denn meine kleine Wicke?«, hatte sie gegurrt, wenn sie sich über die Wiege beugte.
Dann ging Mrs Abraham von Zimmer zu Zimmer und ließ sich Zeit dabei. Noch immer war dies Nessas Haus,und genau das gefiel ihr daran. Nach der Scheidung hatten sie den Besitz nicht aufgeteilt. Nessa hatte nichts mitgenommen, und Henry hatte alles so gelassen, wie es war. In Florida war Nessa vielleicht tot, hier, in diesem Haus in Chelsea, lebte sie weiter.
Aufgemuntert durch die Erinnerung an die guten Zeiten, ging Mrs Abraham wieder nach unten und kochte sich einen Tee. In ihrer Vorstellung war Nessa nicht tot, sondern in Florida, also war alles so wie in den letzten Jahren. Wenn Mr Cage jetzt eine neue Frau ins Haus brächte, eine Dame, die zweifellos Veränderungen vornehmen würde, nun, dann würden die Dinge anders liegen. Dann würde Mrs Abraham ihre Anstellung überdenken müssen, doch bis dahin gab es keinen Anlass zu irgendwelchen drastischen Schritten.
Mrs Abraham hatte die
Daily Mail
zur Hälfte durch, als es an der Tür klingelte. Sie hatte gerade ihr Horoskop gelesen, und bei der Vorhersage, dass der Verlust einer geliebten Person drohe, hatte sie weinen müssen.
»Wer ist da?«, fragte sie über die Sprechanlage.
»Detective Sergeant Cummings und eine Kollegin.«
»Mr Cage ist nicht da.«
»Wir möchten gern zu Ihnen, Mrs Abraham. Wenn wir Sie kurz stören dürften?«
Mrs Abraham erinnerte sich an den Polizisten. Alte Schule, hatte sie beifällig registriert; ein gestandenes Mannsbild mit Schultern, die sein Jackett auch ausfüllten, mit einer netten, geradlinigen Art.
»Einen Augenblick, bitte.«
Bevor sie an die Tür ging, trocknete sie sich die Augen, stellte Tasse und Untertasse in die Spüle und stopfte die Zeitung in die Wäscheschublade. Durch den Türspion sah sie den Beamten und eine uniformierte Streifenpolizistin.
»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen helfen kann, aber kommen Sie herein – wir können uns in der Küche unterhalten.«
Die drei setzten sich an den Küchentisch. Mrs Abraham bot den beiden Kaffee an, doch sie lehnten ab; sie hätten gerade erst einen getrunken.
»Alles in Ordnung, Mrs Abraham? Sie sehen so aus, als hätten Sie gerade geweint.«
»Mrs Cage – sie ist gestern in Florida gestorben. Mr Cage hat gerade eben erst angerufen. Sie hatte Krebs. Ach …«
Die Polizistin holte ihr ein Glas Wasser.
»Es tut mir leid, das zu hören. Wir werden Sie nicht lange belästigen.« Mr Cummings sprach besänftigend. Er ist wohl an schlechte Nachrichten gewöhnt, dachte Mrs Abraham.
»Ich glaube, wir haben eine Spur, die zu Mr Cages Störenfried führen könnte. Nichts, weswegen wir schon einschreiten dürften, aber ich habe gehofft, Sie würden uns bei der Identifizierung helfen.«
Er öffnete den Reißverschluss an seiner Aktenmappe und legte ein Foto auf den Tisch.
Es war schwarz-weiß, größer als die Schnappschüsse, die Mr Abraham jedes Jahr im Urlaub in Mijas machte. Eigentlich fand sie sich ganz gut getroffen. Stimmt schon,sie hatte die Augen vor Überraschung weit offen, und ihr Mund bildete ein makelloses »O«, aber das war vorteilhafter als das frostige Lächeln, das ihr Mann stets aufs Bild bannte, nachdem er sie sorgfältig aufgestellt und ewig lange auf das richtige Licht gewartet hatte. Sie ertappte sich bei dem Gedanken, dass sie eigentlich wie die Dame des Hauses aussah, die gerade zu einem kleinen Mittagessen außer Haus geht.
»Als ich das Bild sah, dachte ich sofort, das ist doch Mr Cages Haus und Mrs Abraham an der Tür. Wissen Sie, wann das Foto gemacht worden ist?«
»Ja. Ich wollte gerade gehen – gegen Mittag war das –, und als ich die Tür öffnete, machten sie diese Fotos. Zwei Personen – das Mädchen hatte den Apparat in der Hand. Sie meinte, ihr würde der Garten so gefallen.« Ihr kamen die Polaroids in den Sinn, und sie fügte noch
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