Die Sphaeren
Umfassungsmauer fehlte. Es hatte zwei Türme, in denen aber keine Kanonen untergebracht waren, sondern Teleskope. Die sichtbaren Mauern hatten sogar etwas Fröhliches, denn sie waren in vielen verschiedenen Farben gestrichen, doch das Gebäude wirkte trotzdem düster auf Ferbin. Solche Orte hatten ihn immer mit Ehrfurcht
erfüllt, und auch die Leute, die dort wohnten. Das ganze Leben dem Lernen, der Meditation und Kontemplation zu widmen … Es erschien ihm wie eine große Verschwendung. Er fühlte sich ständig hin- und hergerissen zwischen Verachtung für jeden, der auf all die das Leben lebenswert machenden Dinge verzichtete, um sich der Abstraktion des Lernens zu widmen, und empfand fast so etwas wie ehrerbietige Demut richtig klugen Leuten gegenüber, die aus freiem Willen eine so enthaltsame Existenz wählten.
Zu einem solchen Ort hätte Djan Seriy gehen wollen, wusste Ferbin, wenn sie in der Lage gewesen wäre, frei zu wählen. Diese Freiheit hatte ihr natürlich gefehlt, und inzwischen war sie weit fort, bei der Kultur. In einigen Briefen, die sie nach Hause geschickt hatte, sprach sie von Orten des Lernens, die ganz nach einem Haus des Wissens klangen. Ferbin hatte den Eindruck gewonnen, dass seine Schwester viel gelernt hatte. (Viel zu viel, nach der abfälligen Einschätzung ihres Vaters.) Spätere Briefe schienen darauf hinzudeuten, dass sie zu einer Art Kriegerin geworden war, fast sogar einer Meisterkämpferin. Zuerst hatten sich Ferbin und die anderen gefragt, ob sie noch ganz bei Sinnen war, aber es gab durchaus Beispiele für Kriegerinnen. Bisher waren alle davon ausgegangen, dass sie der Vergangenheit angehörten, doch man konnte nie wissen. Die Gepflogenheiten der Fremden – der überlegenen, Mentor- und Optimae-Völker, und vielleicht noch zahlreicher anderer – entzogen sich ihrer Kenntnis. So viel im Leben bewegte sich in großen Kreisen, in Rädern aus Glück und Pech. Vielleicht waren Kriegerinnen Teil einer ausgesprochen seltsamen und völlig unverständlichen Zukunft.
Ferbin hoffte, dass Djan Seriy eine Kriegerin war. Wenn er sie erreichen oder ihr wenigstens eine Nachricht schicken konnte … Vielleicht war sie imstande, ihm zu helfen.
Der Rollstern Obor verbreitete rechts von ihnen eine langsame, widerstrebende Dämmerung, als sich Ferbin und sein Diener dem Ziel näherten. Sie kamen an Lehrlingen vorbei, die das Haus des Wissens verlassen hatten, um auf den Feldern, in den Obstgärten und bei den Bächen unweit des bunt bemalten Gebäudes zu arbeiten. Sie nickten, grüßten und winkten mit ihren Hüten. Ferbin fand, dass sie fast glücklich wirkten.
In immer mehr Städten der Sarl gab es Häuser des Wissens, aber diese urbanen Institute boten eine praktischer orientierte Ausbildung an als ihre abgelegenen, ländlichen Gegenstücke. Viele Kaufleute und sogar einige Adlige begannen damit, ihre Söhne in diese modernen Häuser des Wissens zu schicken, und Ferbin hatte von einem in Reshigue gehört, das nur Mädchen aufnahm. (Aber das war eben Reshigue, und alle wussten, dass die Bewohner jener fernen Stadt nicht ganz richtig im Kopf waren.)
»Keine Telegrafenleitung, soweit ich sehen kann«, sagte Holse und beobachtete den Gebäudekomplex aufmerksam. »Das könnte ein Vorteil sein. Es wird sich zeigen.«
»Hmm?«, murmelte Ferbin.
Ferbin betete nur selten. Es war ein Fehler, das wusste er, aber ein ehrenhafter, hatte er sich immer eingeredet. Selbst bei Göttern, so glaubte er, gab es Grenzen für Geduld und Aufmerksamkeit. Indem er nicht betete, ließ er im bestimmt überfüllten göttlichen Audienzsaal etwas mehr Platz, was es
ein bisschen wahrscheinlicher machte, dass andere Leute, die nicht so gut dran waren wie er, in dem allgemeinen Lärm gehört wurden. Ferbin tröstete sich mit dem Gedanken, dass er als Prinz am Hofe des WeltGottes eher Gehör fand als andere – er hatte gewissermaßen eine von Natur aus lautere Stimme. Mit seiner bescheidenen, selbstlosen Abwesenheit tat er weitaus mehr Gutes, als es einem weniger wichtigen Mann mit vergleichbarer Selbstaufopferung möglich gewesen wäre.
Nun, der WeltGott existierte, und obwohl die Vorstellung, ihn wie von Holse vorgeschlagen zu besuchen, schlicht absurd war, galt es als sicher, dass Gebete nicht ungehört verhallten. Manchmal, so hieß es, griff der WeltGott in die Angelegenheiten der gewöhnlichen Sterblichen ein, unterstützte das Gute und Gerechte und bestrafte die Sünder. Es lief also auf Vernachlässigung
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