Die Sphaeren
Jahren. Ob damit Kurz-, Lang- oder sogenannte Standardjahre gemeint waren, wusste Ferbin nicht, und bei einer so großen Zahl spielte es kaum eine Rolle.
Ferbin wischte sich die Tränen aus den Augen, blickte sich sorgfältig um und ließ den Blick auf einigen fernen Punkten verweilen, um Bewegungen besser zu erkennen. Er fragte sich, wie lange es dauern würde, bis die Nachricht von den Geschehnissen im Haus des Wissens Pourl erreichte. Ein Reiter hätte fünf Tage bis zur Hauptstadt der Sarl benötigt, aber wenn man vom Heliografen Gebrauch machte, konnte man vielleicht eine andere Patrouille erreichen, und überhaupt: Die Ritter, die ihre Flugtiere verloren hatten, brauchten nur die nächste Telegrafenstation aufzusuchen. Außerdem würde man die Patrouille vermissen, wenn sie nicht zurückkehrte. Man würde Suchgruppen schicken, die dann zweifellos Signale vom Haus des Wissens empfingen. Man würde Seltis Fragen stellen – und ihn vielleicht sogar foltern? Und wenn er von den Dokumenten und dem D’nengoalischen Turm erzählte?
Ferbin begriff, dass er und Holse eigentlich gar keine Wahl hatten. Sie würden die Reise so schnell wie möglich fortsetzen; der Rest lag beim Glück und dem WeltGott.
Ihre Caude zeigten erste Anzeichen von Erschöpfung. Ferbin sah erneut aufs Chronometer. Seit fast zehn Stunden waren sie in der Luft und mussten mehr als sechshunderttausend Schritte zurückgelegt haben – sechshundert Kilometer. Sie waren links an zwölf Türmen vorbeigeflogen. Der langsame orangerote Rollstern Obor näherte sich seinem höchsten Stand. Etwa die Hälfte der Strecke lag hinter ihnen.
Sie gingen tiefer, fanden am Rand eines ausgedehnten Muldenmeers eine Insel mit reichlich Kahlkopffrüchten und landeten auf einer kleinen Lichtung. Die Caude mampften Früchte, bis sie den Eindruck erweckten, fast zu platzen.
Sie begannen erneut zu furzen, schliefen dann im nächsten Schatten ein und setzten weiterhin übel riechendes Gas frei. Ferbin und Holse banden die Tiere an, aßen selbst etwas, wichen dann ebenfalls in den Schatten zurück und schnitten jeder ein großes Blatt ab, um das Licht während des Schlafs fernzuhalten. Ferbin wählte diesen Augenblick, um seinem Diener mitzuteilen, was er von den jüngsten Ereignissen hielt und dass er die langen, kalten und schmerzlichen Stunden im Sattel genutzt hatte, um über Vorherbestimmung und Schicksal nachzudenken.
»Oh, ich verstehe«, sagte Ferbin. »Kennst du die Lage der alten Fabrik?«
»Sir, ich möchte nur darauf hinweisen, dass sie das einzige intakte Gebäude im Umkreis von einem halben Tagesritt war. Selbst die alte Jagdhütte, die gewissermaßen der Anlass für alle anderen Gebäude in jener Gegend war und ein ebenso nützliches Dach hatte wie das verschwenderische Ding …«
»Der Prunkbau.«
»… in dem ich Sie gefunden habe, war in Schutt und Asche gelegt. Von Artilleriegeschossen. Wie dem auch sei, Sir, es ist keine große Überraschung, dass Ihr Reittier Sie dorthin brachte.«
»Na schön«, sagte Ferbin und wollte seine Klugheit zeigen, indem er ein Zugeständnis machte. »Meine Ankunft ging vielleicht nicht auf die Hand des Schicksals zurück. Wohl aber, dass die Verräter meinen Vater dorthin brachten. Vielleicht steckt sogar das Eingreifen des WeltGottes dahinter. Das Ende meines Vaters stand fest, wie es schien, und er konnte nicht gerettet werden, aber wenigstens sollte sein
Sohn Zeuge des verabscheuungswürdigen Verbrechens werden und Rache in Gang setzen.«
»Ich bin sicher, dass Sie einen solchen Eindruck gewinnen mussten, Sir. Aber da es keine anderen Gebäude in der Nähe gab, in der Hitze des Gefechts und bei einem einsetzenden Schmutzigregen … Unter solchen Umständen ist es nur sinnvoll, einen Verwundeten in den Schutz eines Daches zu bringen. Wenn Schmutzregen in eine Wunde gerät, wird eine Infektion von einer Möglichkeit zur Gewissheit.«
Ferbin dachte noch einmal an die betreffenden Ereignisse. Er erinnerte sich daran, wie er das Gebäude verlassen hatte und durchs feuchte, klebrige Dickicht geklettert war. Dabei war tatsächlich ein schmutziger Regen gefallen, der alles so klebrig gemacht hatte. »Aber sie wollten ihn töten!«, wandte er ein.
»Und wo hätten sie den König töten sollen, Sir? Vor den Augen vieler Leute, unter freiem Himmel, oder in einem Gebäude, von Wänden umgeben?«
Ferbin runzelte die Stirn, zog sich das große blaue Blatt übers Gesicht und brummte darunter: »Wie zynisch du die
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