Die Sphaeren
klarer Tod für mich, ja«, sagte der Arzt und versuchte sonderbarerweise zu lächeln. Einen Moment später erschien so etwas wie Verzweiflung in seinem Gesicht, und dann senkte er den Kopf, als wollte er den Gesichtsausdruck verbergen, und murmelte: »Nun, nicht klar, ich meine, wieso klar? Gillews, du Idiot …«
»Doktor, ich muss wissen, wie es meinem Vater in seinen
letzten Minuten ging. Dies ist sehr wichtig für mich. Ich habe das Gefühl, ihn in Gedanken erst dann ruhen lassen zu können, wenn ich Bescheid weiß. Bitte … Erinnern Sie sich?«
»Ruhen lassen?«, wiederholte Gillews. »Was hat das denn mit Ruhen zu tun? Ruhen ist … heilsam. Erneuert den Körperbau, regeneriert die Nerven, gibt den Muskeln neue Kraft und den größeren Organen die Möglichkeit, mechanischen Stress abzubauen. Ja, das hat es mit Ruhen auf sich, und es lohnt durchaus, so etwas anzustreben. Der Tod aber hat nichts mit Ruhen zu tun; er ist das Ende davon. Der Tod ist Zerfall und Fäulnis, kein Aufbau! Kommen Sie mir nicht mit Ruhe! Was für eine Ruhe soll das sein? Sagen Sie mir das! Was für eine Ruhe? Wo, wenn unser König in seinem Grab liegt? Für wen? Hm? Dachte ich mir!«
Oramen war einen Schritt zurückgewichen, während der Arzt vor ihm wütete. Er konnte nur über die Tiefe der Emotionen in dem armen Mann staunen. Wie sehr musste er seinen König geliebt haben, und wie niederschmetternd musste es für ihn gewesen sein, ihm nicht helfen zu können. Die beiden Hauptassistenten des Arztes kamen von rechts und links und stützten Gillews. Einer nahm ihm das Glas ab und steckte es in eine Tasche. Der andere sah Oramen an, lächelte nervös und zuckte mit den Schultern. Er murmelte etwas, das nach einer Entschuldigung klang und mit »Sir« aufhörte.
»Was?«, fragte Gillews. Sein Kopf kippte von einer Seite zur anderen, als wäre der Hals halb gebrochen, als er versuchte, den Blick auf die beiden jungen Männer zu richten. »Meine Sargträger sind bereits da? Und wollen sie mich zu einem Rat von meinesgleichen bringen? Vor ein Gericht aus den Geistern früherer Ärzte? Werft mich in den Spiegel …«
Er neigte den Kopf nach hinten und jammerte: »Oh, mein König, mein König!« Dann sackte er im Griff der beiden Männer zusammen und schluchzte.
Die Assistenten führten Gillews weg.
»Lieber Oramen«, sagte tyl Loesp und erschien an Oramens Seite. Er sah dem Arzt und seinen beiden Assistenten nach. »Ich fürchte, der Doktor hat zu viel getrunken.«
»Vermutlich, um seinen Kummer zu ertränken«, erwiderte Oramen. »Ich fühle mich an Gram weit übertroffen.«
»Es gibt angemessenen und unangemessenen Kummer, findest du nicht?« Tyl Loesp stand neben Oramen und überragte ihn. Sein weißes Haar glänzte im Schein der Kerzen. In der dunkelroten Hose und der langen Jacke wirkte er nicht weniger wuchtig als mit voller Rüstung, wie an dem Abend, als er die Leiche des Königs vom Schlachtfeld nach Hause gebracht hatte. Oramen hatte es allmählich satt, höflich zu sein.
»Ist mein Vater zum Schluss tapfer gestorben, tyl Loesp?«, fragte er. »Bitte sag es mir.«
Tyl Loesp hatte ein wenig nach vorn gebeugt dagestanden und straffte nun die Schultern. »Er starb, wie ein König sterben sollte, Sir. Nie war mein Stolz auf ihn größer, und nie habe ich ihn mehr geachtet als in jenem Moment.«
Oramen legte dem großen Krieger die Hand auf den Arm. »Danke, Loesp.«
»Es ist mir ein Vergnügen und meine Pflicht, junger Prinz. Ich bin nur der Pfahl, der den Schössling stützt.«
»Du hast mir sehr geholfen, und ich stehe in deiner Schuld.«
»Nie, Sir. Nie.« Tyl Loesp lächelte ein oder zwei Sekunden lang, und dann reichte sein Blick über Oramens Schulter hinweg.
»Hier ist ein Gesicht, das dir willkommen sein dürfte, Sir.«
Oramen drehte sich um und sah seinen alten Freund Tove Lomma.
»Tove!«, sagte er erfreut.
»Stallmeister Tove, wenn du gestattest, Prinzregent.«
»Stallmeister?«, fragte Oramen. »Mein Stallmeister?«
»Das hoffe ich! Sonst wollte mich niemand haben.«
»Er ist ein sehr fähiger junger Mann«, sagte tyl Loesp und klopfte sowohl Lomma als auch Oramen auf die Schulter. »Aber denk daran, dass er Unfug von dir fernhalten und dich nicht dazu ermuntern soll.« Tyl Loesp sah Oramen an und lächelte. »Ich verlasse euch jetzt, auf dass ihr viel gutes Benehmen planen könnt.« Er verneigte sich kurz und ging.
Tove wirkte reumütig. »Dies ist kein Tag für Unfug, Prinz. Nicht heute. Aber wir
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