Die Sphaeren
Position gebracht.
Tyl Loesp zog den Handschuh wieder an und kehrte ins Halbkettenfahrzeug zurück.
»Offen gesagt, Sir, es ist eine Mordwaffe«, sagte Illis, der Waffenmeister des Palastes. Er war klein und kräftig gebaut, hatte dunkle, schwielige Hände.
Oramen drehte die kleine, aber angeblich sehr wirkungsvolle Pistole hin und her. Er hatte einige Tage lang über Harnes Warnungen nachgedacht und schließlich entschieden, ihnen keine Beachtung mehr zu schenken. Doch dann war er aus einem Traum erwacht, in dem er in einem Rollstuhl gesessen hatte und hilfloses Opfer von Männern gewesen war,
die ihm Messer in die Arme bohrten. Zuerst hatte er auch darüber hinweggehen wollen, doch dann gelangte er zu dem Schluss, dass sich etwas in ihm Sorgen machte. Selbst wenn er damit nur weiteren Albträumen dieser Art vorbeugte: Es mochte ratsam sein, eine Waffe dabeizuhaben, mit der sich mehr anfangen ließ als mit seinem üblichen langen Messer.
Die Pistole fühlte sich recht schwer an. Eine starke Feder bewegte ihren Mechanismus, sodass sie mit einer Hand benutzt werden konnte. Sie enthielt zehn Patronen, vertikal in einem Magazin angeordnet, das im Griff steckte. Eine weitere Feder beförderte die Patrone ins Patronenlager, und gespannt wurde sie von einem Hebel, der nach dem Schuss wegklappte.
Die Patronen wiesen an der Spitze einen kreuzförmigen Einschnitt auf. »Damit lässt sich jeder Mensch aufhalten«, sagte Illis. Er zögerte kurz. »Damit lässt sich sogar jeder Heffter aufhalten, um der Wahrheit Genüge zu tun.« Er lächelte, was ein wenig befremdlich war, da er nur noch wenige Zähne besaß. »Versuchen Sie, Unfälle damit zu vermeiden, Sir«, mahnte er und bestand dann darauf, dass der Prinz im Schießstand neben der Rüstkammer übte.
Der Rückstoß der Waffe war fast wie der Tritt eines Heffters, der Knall ohrenbetäubend laut, aber sie schoss gut und zuverlässig.
Er fand einen Platz für das leicht geölte Halfter aus Ynt-Leder, verborgen unter seinem Hemd, am Rücken, und er versprach, sie immer gesichert zu tragen.
12
Kumuloform
E s dauerte eine Weile, bis Ferbin klar wurde, dass er nicht tot war.
Sein Selbst schwebte nach oben, dem Erwachen entgegen, und daraufhin stellte er fest, dass er in luftiger Leere hing, über einer gewaltigen Masse kalter Blasen. Riesige goldfarbene Wolken breiteten sich in alle Richtungen aus, vor allem nach oben. Weit unten erstreckte sich ein blauer Ozean, ohne die geringste Spur einer Landmasse. Unveränderlich und durchzogen von einem Muster schaumgekrönter Wellen schien er trotz seiner enormen Ausmaße irgendwie erstarrt zu sein.
Während Ferbin über dieser Erscheinung schwebte, gewann er manchmal den Eindruck von subtiler Veränderung, und er glaubte, winzige Flecken auf der Oberfläche zu erkennen. Doch dann verschwanden die winzigen Flecken mit der
gleichen Langsamkeit, mit der sie entstanden waren, und alles präsentierte sich wie zuvor: abgeklärt, ruhig, unveränderlich, himmlisch …
Er hatte das Gefühl, sich vor kurzer Zeit in einem Ozean aufgehalten zu haben, aber es war warm gewesen, nicht kalt, und er hatte selbst untergetaucht atmen können. Der Tod schien wie eine Geburt zu sein, wie eine Rückkehr in die Gebärmutter.
Und jetzt war er hier in dieser sonderbaren Landschaft aus unendlichen Wolken und einem Ozean ohne Anfang und Ende, nur in der beruhigenden Präsenz von langsam vorbeistreichenden Türmen – sie zeigten ihm, dass er im richtigen Leben nach dem Tod weilte. Und selbst mit den Türmen stimmte etwas nicht: Die Abstände zwischen ihnen waren zu groß.
Er sah ein Gesicht. Es war ein menschliches Gesicht, und er wusste, dass er es hätte erkennen sollen.
Dann erwachte er wieder, und das Gesicht war fort. Er vermutete, dass er es nur geträumt hatte, und fragte sich, wie man als Toter träumen konnte. Dann schien er wieder einzuschlafen. Im Rückblick überraschte ihn auch das.
Er war wach und spürte eine sonderbare Taubheit im Rücken und in der rechten Schulter. Schmerzen hatte er nicht, aber es fühlte sich nach einem großen Loch in seinem Oberkörper an, nach etwas, das er nicht erreichen und an dem er nichts ändern konnte. Er hörte ein dumpfes Donnern, wie von einem fernen Wasserfall.
Noch immer schwebte er über dem grenzenlosen blauen
Ozean. Ein Sonnenuntergang erfolgte langsam, überzog den Himmel mit flammendem Rot und violetten und malvenfarbenen Tönen. Er beobachtete, wie ein Turm vorbeiglitt:
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