Die Spiele des Herrn (Johann Von Der Morgenpforte) (German Edition)
Sie hatten kaum Gelegenheit gehabt, miteinander zu sprechen. Gut so, hörte sie Conradus mit ihrer inneren Stimme sagen. Sie würde Conradus fragen, was Gott hier gerade mit ihr machte. Gehört hatte sie davon, von diesem Gefühl der Unruhe und des Friedens zugleich, von diesem Gefühl, die Welt umarmen zu können.
Sie lächelte und stand auf. Schnell brannten neue Lichter in ihrer Kammer. Sie kleidete sich an und kämmte ihre Haare. Ein hundert Mal kämmen, hatte ihre Mutter ihr schon als kleines Kind beigebracht. Auch wenn nicht viele Bilder ihrer Eltern in ihrem Kopf geblieben waren, war dieses Ritual doch sehr lebendig. Ein hundert Mal kämmen und die Haare behalten ihren seidigen Glanz. Natürlich war dieses Ritual auch gegen die kleinen juckenden Plagegeister, die viele der Menschen auf der Burg in ihren Haaren fanden. Noch neunzig Mal.
Ida dachte wieder an Johann und vergaß beinahe zu zählen. Was war die letzte Zahl. Sechsundachtzig. Sie zählte wieder rückwärts. Auch dies war eine Fähigkeit, die sie Conradus verdankte. Ida kannte alle Zahlen und konnte sie alle bis Tausend aufzählen, sie zusammenrechnen und sie voneinander abziehen. Auch das kleine Einmaleins konnte sie, aber da die Zahlenkunst nicht zu ihren Lieblingen gehörte, kam sie bei anderen Rechnungen schnell in Schwierigkeiten. Aber was machte es schon? Sie war eine der wenigen Frauen, die überhaupt rechnen, lesen und schreiben konnte. Ja, und vielleicht war es genau das, was sie an Dietrich so faszinierte. Er schien kein dummer Mensch zu sein. Anders als sein Ruf ihm vorausging, konnte Dietrich sich Wort gewand ausdrücken. Sie mochte seine Vorsicht, mit der er sich unter Menschen bewegte und mit der er sich ausdrückte. Dietrich war kein Mann, der anderen zuviel von sich preisgab, anders als die vielen Prahlhänse, die sie in ihrem Leben schon auf der Isenburg kennen gelernt hatte. Wie Dietrich wohl reagieren würde, sollte er erfahren, dass sie lesen und schreiben konnte? Besser, sie würde es erst mal für sich behalten. Sie wollte ihn nicht verängstigen. Conradus hatte ihr gesagt, dass Männer keine klugen Frauen mögen. Vielleicht war dies der Grund, warum sie ihre Frauen dumm hielten, dachte Ida. Noch viermal Mal kämmen. Drei. Zwei, eins. Ida legte den Hornkamm beiseite und nahm ihre Haube und zog die Kopfbedeckung fest.
Idas Kammer lag im ersten Stock des Palas, direkt neben der des Vogtes und der ihres Bruders. Nur diese drei Adeligen und natürlich als Hofgeistlicher Bruder Conradus und der neue Herr hatten auf der Burg den Luxus eines eigenen Raums mit einem eigenen Bett. Ida schritt vorsichtig die Wendeltreppe zum Wohnraum hinab. Hier schliefen die anderen Bewohner der Festung, jeder dort wo er gerade Platz fand. Die meisten waren jedoch schon zum Sonnenaufgang aufgestanden. Die Luft im Wohnraum war drückend und schwül, stank nach Urin und Schweiß. Ein leichter Lufthauch wehte durch den Raum. Die Tür zum Hof war geöffnet, damit ein wenig frische Luft hineinkam. Ida sah ihren Bruder, Vogt Gottfried und den jungen Dietrich an einer Tafel in der Mitte des Raumes zusammen ein Morgenmahl einnehmen. Sie aßen die Reste vom Vorabend, kaltes Fleisch, Obst und natürlich das feinkörnige Brot.
„ Guten Morgen, Fräulein Ida.“ Dietrich kam auf Ida zu und geleitete sie mit einer Geste zum Tisch.
„ Guten Morgen auch euch, Herr Dietrich und Herr Gottfried.“
Ida gesellte sich zu den beiden Männern und ihrem Bruder. Sie nahm auf der Sitzbank neben ihrem Bruder Platz und saß Gottfried direkt gegenüber. Quer über den Tisch schenkte sie Dietrich einen langen Blick. Albert schenkte ihr einen Becher frische Milch ein. Er kannte ihre Morgengewohnheiten. Ida aß morgens immer wenig. Erst nach dem Mittagsgebet bekam sie Hunger.
„ Danke, kleiner Bruder.“, sagte sie. „Herr Dietrich, ich habe mich noch nicht bei euch für euer wunderschönes Gedicht bedankt. Es war sehr schön, wenn auch ein bisschen gewagt.“, kokettierte sie.
„ Nun, ich muss zugeben, dass es nicht meine Zeilen waren. Sie stammen von einem jungen Dichter, den ich zu sehen das Vergnügen hatte: Heinrich von Meißen. Man nennt ihn auch ´Herr Frauenlob´. Und bei einem solchen Namen muss er doch eben diesem gerecht werden.“, sagte Johann und lächelte.
„ Nun, ich werde mir diesen Namen merken müssen, um mich in Acht zu nehmen. Jemand der so schreibt, mag wohl noch arger denken.“, sagte Ida und lächelte zurück.
„ Guruh, Guruh.“, äffte Albert
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