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Die Spieluhr: Roman (German Edition)

Die Spieluhr: Roman (German Edition)

Titel: Die Spieluhr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Tukur
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organisiert. Man wird Sie morgen in aller Frühe nach Orléans bringen, und von dort müssen Sie sich allein weiter nach Süden durchschlagen.«
    »UND SIE, MAJOR, was werden Sie tun?«
    »Ich stecke zu tief in der Geschichte. In Paris ist schon die erste Verhaftungswelle angelaufen, und es wird nicht lange dauern, bis sie den Widerstand auch außerhalb der Stadt aufrollen …«
    Er stand auf, entnahm dem Stapel Brennholz, der sorgfältig neben dem Kamin aufgeschichtet lag, zwei Scheite und warf sie ins Feuer.
    »Ich hatte gehofft, ich könnte noch einmal nach Hause fahren, ein paar letzte Sommertage auf unserem Gut verbringen, den Vater wiedersehen, die Mutter, den Ort der Kindheit, des ungetrübten Glücks …
    Wie lange ist das her, und wie sehne ich mich danach, es noch einmal zu erleben! Die Stille und Strahlkraft des Himmels, die Kornfelder hinterm Schloß mit dem alten Park und den Pferdekoppeln, die tiefblauen, in Mulden versteckten Seen, und die Wolken, die sich in ihnen spiegeln wie dahingleitende Erinnerungen an eine Welt ohne Zeit …
    All das wird untergehen und bald aus den Herzen der Menschen verschwinden. Jahrhunderte ausgelöscht. Nur die Erde wird bleiben, der Sand, ein Haufen Steine und vertrocknetes Gras.«
    Er lachte bitter, dann ging er hinüber zu der kleinen Spieluhr, deren Töne ihren silbrigen Glanz verloren hatten. Vorsichtig zog er sie auf, da erklang die Melodie wieder lebendig und frisch, und auch die Bewegungen der kleinen Porzellantänzerin zeigten ihren alten Schwung.
    Er setzte sich. Das Feuer warf ein helleres Licht auf sein Gesicht.
    »Vor Weihnachten fand auf Montrague ein Exodus statt. Es gab nicht viel zu tun, und den Krieg in der Ferne merkte man kaum.
    Die Offiziere und ein Großteil der Mannschaften hatten Urlaub erhalten und waren nach Hause gefahren, um die Feiertage bei ihren Familien zu verbringen. Einige gingen nach Paris.
    Als einer der wenigen hielt ich die Stellung im Schloß.
    Ich hatte mich inzwischen mit dem Marquis angefreundet, er ist etwa so alt wie ich, und als ich mir einen Flügel aus Paris kommen ließ, um meinen eingerosteten Fingern ihre frühere Beweglichkeit zurückzugeben, bat er mich, ihn im Kaminzimmer der Familie aufstellen zu dürfen.
    Ich wollte die Ruhe und Stille der Weihnachtstage nutzen und mich mit den Klavierwerken Debussys beschäftigen, um mir das eine oder andere Stück zu erarbeiten.
    Ich weiß nicht, ob ich Ihnen jemals erzählt habe, Wilhelm, daß ich vor meinem Eintritt ins Militär Konzertpianist werden wollte. Ich hatte in Berlin angefangen bei Madame Ney zu studieren, die schon damals eine berühmte Künstlerin war, aber schließlich gab ich schweren Herzens der dringenden Bitte meines Vaters nach. Ich schlug die Offizierslaufbahn ein und wollte mich später um unser Gut in Masuren kümmern.«
    Das Glas, das er mir jetzt anbot, lehnte ich höflich ab. Ich merkte, daß mir der Schnaps zu Kopf stieg, er jedoch trank beide Gläser nacheinander aus.
    Ich dachte, der Alkohol müßte bei ihm allmählich seine Wirkung zeigen, aber er redete unbeeindruckt weiter, konzentriert und hellwach.
    »Am Nachmittag des 24. Dezember begann es heftig zu schneien, und am ersten Weihnachtstag lagen Schloß und Park unter einer strahlendweißen Schneedecke. Ich erinnere mich deshalb genau, weil diese himmlische Dekoration so pünktlich eintraf, als hätte man sie direkt beim lieben Gott bestellt.
    Der Marquis hatte mich an diesem Abend zum Essen eingeladen. Gegen acht Uhr fand man sich im Speisezimmer ein. Es waren außer mir nur vier Personen zugegen, und ich war der einzige Gast.
    Neben dem Schloßherrn am Kopf des langen Tisches saß sein Sohn, mit dem ich bislang nur wenige Worte gewechselt hatte. Er war fast nie zu sehen und spielte entweder draußen im Park oder hielt sich in Bereichen des Schlosses auf, deren Zutritt uns der Respekt verbot.
    Übrigens befand sich Amadés Mutter, die Marquise de Courtils, nicht unter uns. Sie war bereits sechs Jahre zuvor nach der schweren Entbindung ihres kleinen Sohnes an einer Blutvergiftung gestorben.
    Links von mir hatten der Gutsverwalter Platz genommen, ein Belgier namens Reypens, ein rechtschaffener, aber etwas verschlossener Mann, und ihm gegenüber die Comtesse de Montgeroult, die auf den Namen Minouche hörte. Sie war eine Verwandte der Familie, grau und blutleer, und kümmerte sich um alle Belange des jungen Marquis, die außerhalb seiner Erziehung lagen. Dafür gab es einen Privatlehrer, der mir nur

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