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Die Spieluhr: Roman (German Edition)

Die Spieluhr: Roman (German Edition)

Titel: Die Spieluhr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Tukur
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dachte.
    Also fragte ich ihn (es war das erste Mal, daß ich den Mund auftat), wie es möglich sei, in einem Gemälde zu verschwinden, und ob er glaube, daß es eine Welt hinter der Leinwand gäbe, die für uns nicht zugänglich, aber ebenso wirklich sei wie diese hier?
    Dabei fiel mir ein, wie unwirklich und phantastisch der Ort eigentlich war, an dem ich mich gerade befand, und mir kam der Gedanke, daß er sich bereits hinter etwas anderem verbarg.
    Ich also schon in einer zweiten oder dritten Schicht steckte.
    Und wie konnte ich sicher sein, daß mein tatsächliches Leben als Schauspieler (allein schon das ein Beruf, der die Welt ja nur in ihrer Abbildung oder Spiegelung verhandelte), das mich hierher in die Picardie geführt hatte, nicht schon eine Schimäre war und ein Ursprung, eine eigentliche, eine wirkliche Wirklichkeit gar nicht existierte?
    Sicher, das waren keine neuen Überlegungen. Derlei hatte ich schon öfter in anderen Zusammenhängen gedacht, wahrscheinlich hatte ich es in der Schule aufgeschnappt, bei Plato oder Calderón. Aber es waren immer nur Gedankenspielereien gewesen.
    Jetzt wurde ich durch sonderbare Umstände gezwungen, mir ernsthaft den Kopf darüber zu zerbrechen, und ich fühlte, daß einiges davon abhing, zu welchem Schluß ich kam.
    »ICH WILL IHNEN MEINE Geschichte erzählen, Wilhelm, zumindest den Teil, der für die Beantwortung Ihrer Frage wichtig ist«, sagte der Major und griff hinter seinen Sessel.
    Er holte eine Flasche und zwei Gläser hervor und stellte sie auf das Tischchen zwischen uns.
    »Im Sommer 1941 wurde ich zum Major befördert und als Offizier im Generalstab der Heeresgruppe Mitte nach Rußland abkommandiert. Nach den Kesselschlachten von Brjansk und Wjasma und den Greueltaten an der zivilen Bevölkerung, die ich vor Ort beobachtet hatte, bat ich um meine Versetzung. Dem wurde zu meinem Erstaunen stattgegeben, und man schickte mich nach Paris, um in der dortigen Militärverwaltung die Zusammenarbeit mit der französischen Polizei zu koordinieren.
    Montrague war schon kurz nach der Besetzung beschlagnahmt und als Verwaltungssitz für die nördlichen Departements eingerichtet worden. Ein Teil des Schlosses verblieb bei der Familie des Marquis de Courtils.
    Ich kam dort im Spätherbst 1941 an und wußte sofort, daß dieser Ort für mich von schicksalhafter Bedeutung sein würde.«
    Unterdessen hatte der Major die beiden Gläser gefüllt und hielt mir nun eines entgegen. »Ein ausgezeichneter Bauernbrand, hier aus der Gegend. – Auf unseren Untergang, lieber Wilhelm!«
    Er prostete mir zu, und wir tranken.
    Der Schnaps brannte in der Speiseröhre, hinterließ aber einen angenehmen Nachgeschmack.
    Ich lebte, ich war wach. Das spürte ich.
    Plötzlich hörte ich meine eigene Stimme, aber so, als bediente sich ihrer jemand anderer. Sie sagte: »Major, bitte beantworten Sie mir eine Frage. Wen sehen Sie in mir?«
    Er schenkte sich nach und fixierte mich erstaunt, als hätte er nicht recht verstanden.
    »Wer bin ich?« wiederholte die Stimme, die meine war.
    »Was für eine seltsame Frage, Doktor!« Er schüttelte den Kopf und lachte.
    Dann sah er mir direkt und gespannt in die Augen, als wollte er bis auf ihren Grund blicken, um mich im Innersten zu erfassen und zu verstehen.
    »Aber Sie haben ganz recht! Wer sind Sie eigentlich wirklich? …«
    Er zögerte ein wenig, ehe er weitersprach.
    »… Gewiß nicht mehr der, der Sie vermutlich noch gestern waren, nicht wahr?! Der sympathische Herr Doktor Wilhelm, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, mit dem ich noch vor einer Woche vier Flaschen Champagner und eine halbe Flasche Calvados bei Bofinger leerte, um diesen dreckigen Krieg zu vergessen. Mit dem ich mich betrunken habe in der idiotischen Hoffnung, wir könnten diejenigen, die ihn verantworten, endlich stoppen und zur Räson bringen. Denn, sehen Sie, ab heute bin auch ich ein anderer.
    Ich habe mich auf den Weg gemacht und muß nur noch einen letzten Schritt gehen, nachher, morgen, in fünf Minuten oder einer Stunde, ganz gleich, reine Formsache …«
    Er hob das Glas an den Mund und leerte es in einem Zug. Vielleicht hatte er sich in Rußland solche Trinkmethoden angewöhnt.
    »Sie haben Kopf und Kragen riskiert, lieber Doktor«, fuhr er fort, »und uns wichtige Informationen zukommen lassen. Das war mutig, und ich danke Ihnen dafür. Ihr Name taucht nirgends auf, das hatte ich versprochen.
    Trotzdem rate ich Ihnen zu verschwinden. Der Marquis hat einen Wagen

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