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Die Spieluhr: Roman (German Edition)

Die Spieluhr: Roman (German Edition)

Titel: Die Spieluhr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Tukur
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lauschte, die die luzide Struktur einer Bachschen Fuge mit der empfindsamen Tiefe einer romantischen Sonate verband, war mein Blick auf einen Gobelin gefallen, der rechts von mir zwischen zwei hohen, verschlossenen Türen hing.
    Er kam mir bekannt vor, und plötzlich erinnerte ich mich. Eine ländlich-idyllische Szene, hübsch herausgeputzte Menschen – Land- und Edelleute –, die unter einem mächtigen Laubbaum zur Musik dreier Lautenspieler tanzten.
    Jean-Luc hatte ihn mir so beschrieben!
    Einzelne Paare ergingen sich zwischen blühenden Rabatten und in dunklen Laubengängen, ein Teich mit Schwänen schimmerte durch die Bäume, und Kinder waren zu sehen, die mit Hunden spielten oder von einem Baum ins Wasser sprangen.
    Im Vordergrund saß eine Frau von grobschlächtiger Statur auf einem Stein oder Baumstumpf, eine Bäuerin wohl, einen Korb voll reifer Früchte auf dem Schoß, und sah mir direkt ins Gesicht. Es war ein wilder, erschreckter Blick, und er wirkte so lebensecht, daß ich mich fragte, wie ein Stück Stoff – und mochte er noch so fein gewebt sein – einen solch verblüffenden Effekt erzielen konnte.
    Eine Hand legte sich auf meine Schulter, und ich fuhr herum.
    DER MAJOR LÄCHELTE mich an. Er trug immer noch Uniform und Reitstiefel, hatte aber den Kragen geöffnet, unter dem ein weißes Hemd hervorschien. Er war in der Tat ein gutaussehender Mann, groß, mit schwarzgewelltem Haar und dunklen, ironischen Augen.
    »Kommen Sie, Wilhelm, ich will Ihnen meinen begabtesten Schüler vorstellen!«
    Er legte den Arm um meine Schulter und führte mich in einen prächtigen Saal, der über und über mit Stuckaturen und Spiegeln verziert war. Von hohen Fenstern hingen Vorhänge aus schwerem Brokat, die keinen Sonnenstrahl durchließen. Es herrschte tiefe, unwirkliche Nacht.
    Das Feuer in einem Kamin am anderen Ende des Saales und Kristallüster, mit Dutzenden von Kerzen bestückt, sorgten für ein warmes, sich sanft wiegendes Licht.
    An einem der beiden Cembali, die einander gegenüberstanden, saß ein Kind, ein Knabe von vielleicht acht, neun Jahren, auffallend klein und schmächtig.
    Er hatte aufgehört zu spielen und starrte mich aus großen, milchigen Augen an. Die aschblonden Haare trug er streng auf der Seite gescheitelt, und an den Schläfen schimmerten blaue Äderchen unter einer blassen, durchsichtigen Haut.
    Ich sah dieses filigrane Wesen fassungslos an.
    Wie konnte ein Kind mit kleinen Händen und winzigen Fingern, ein Kind ohne Kraft und Lebenserfahrung, eine so meisterliche Musik hervorbringen, wie ich sie eben gehört hatte?
    Der Major lachte. »Sie sollten Ihr Gesicht sehen, Wilhelm! Ganz seine katholische Exzellenz, der Fürstbischof von Passau, als ihm der sechsjährige Mozart auf dem Hammerklavier vorspielte!
    Ich habe mir immer vorzustellen versucht, was in der Seele eines Menschen vorgeht, wenn er unvermittelt Zeuge einer göttlichen Begabung wird und fühlt, wie der rastlose Betrieb der Welt plötzlich zum Stehen kommt. Seine katholische Exzellenz verlor alle Farbe im Gesicht, wie Sie jetzt, und hat seiner fürstbischöflichen Schatulle einen Dukaten entnommen und ihn dem jungen Wolfgang Amadé zugesteckt.
    Was werden Sie tun, Wilhelm?«
    Ich öffnete den Mund, wußte aber nichts zu antworten.
    Da sprang das Kind mit einem Satz vom Stuhl und schloß den Deckel der Tastatur. Es ragte kaum über das Instrument, und so sah ich seinen Kopf, nicht größer als eine Kokosnuß, langsam um das Cembalo herumwandern, bis der Knabe schließlich in seiner ganzen Erscheinung vor mir stand.
    Er hielt eine Spieluhr in der Hand, auf der sich eine kleine Porzellanfigur befand.
    Ich spürte, wie mich Gänsehaut überlief. Mit dem Knaben stimmte etwas nicht, er war mir unheimlich, ja fast widerwärtig.
    WAS IN ALLER WELT ging hier vor? Hinter mir stand ein Offizier der deutschen Wehrmacht in Uniform – wie dieses seltsame Kind selbst ein Virtuose auf dem Cembalo. Er hielt mich für jemanden, der ich nicht war, und wir befanden uns in einem Saal, der vor zweihundert Jahren nicht anders ausgesehen hätte.
    Ich beschloß, der Beklemmung, die sich meiner bemächtigen wollte, keinen Raum zu geben, und dankte dem Jungen für die wundervolle Musik, die ich draußen auf dem Korridor hätte genießen dürfen. Ich beglückwünschte ihn zu seinem außerordentlichen Talent und fragte, von wem die schöne Melodie gewesen sei, die er zum Schluß gespielt habe.
    »Oh, die ist hübsch, nicht wahr!« rief der Knabe mit

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