Die Spinne (German Edition)
verstricken. Doch sie hütete sich, darauf einzugehen, auch weil Jewgeni sie eindringlich vor seinen Agenten gewarnt hatte. So fragte sie nur: »Wo hast du das Auto geparkt?«
Um fünf, als sie beide nahezu ununterbrochen gähnten und absolut klar war, dass Alan Drummond nicht mehr auftauchen würde, fuhr Francisco los, und sie rief Jewgeni in Genf an, um ihm von den Ereignissen zu berichten. »Zwei Möglichkeiten. Entweder ist er abgehauen, oder jemand hat ihn abgeholt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er abgehauen ist.«
»Aber was wollte er dort?«
»Hat er nicht verraten. Ihm ist klar, dass er Milo schadet, aber das interessiert ihn anscheinend nicht.«
»Ist er bescheuert?«
Auch sie hatte diese Möglichkeit in Betracht gezogen. »Er behauptet, dass ihn zwei Gruppen beobachten, aber mehr wollte er nicht sagen. Und dass die Fäden von anderen gezogen werden.«
»Was soll das heißen, verdammt?« Nana war anscheinend gereizt an diesem Morgen.
Sie schenkte sich die Antwort.
»Wir haben im Moment einen Haufen andere Sachen am Hals, aber wir sollten auf jeden Fall die Augen offen halten.«
»Rufst du Milo an?«
»Nicht nötig, ihn zu beunruhigen.«
»Aber er macht uns Ärger. Es wäre nur fair.«
»Fair?« Er klang, als hätte er das Wort noch nie gehört.
2
Erika Schwartz glaubte nicht, dass es sich bei dem Mann in London um Milo Weaver handelte – schließlich war es nur eine Identität. Doch diese Identität war von der aufgelösten Abteilung Tourismus benutzt worden und machte daher Nachforschungen notwendig. Schon vor einigen Monaten hatte sie den Namen als kritisch eingestuft, und so wurde sie am Freitag, einen Tag nach Sebastian Halls Ankunft im Rathbone Hotel, vom BND Berlin benachrichtigt, dass die betreffende Identität in London aufgetaucht war. Sie forderte ein Foto an und erhielt die Zusicherung, dass man sich darum bemühen würde.
Ihr erster Impuls war, Milo Weaver persönlich anzurufen und die Sache sofort zu klären. Wahrscheinlich kannte er nicht alle Antworten – wer konnte das schon von sich behaupten? –, doch vielleicht konnte sie ihn von der Liste möglicher Akteure streichen. Falls er überhaupt daran interessiert war, noch einmal mit ihr zu sprechen.
Mögliche Akteure in welchem Kontext eigentlich? Sie hatte keine Ahnung, doch nach ihrem Geplänkel mit Leticia Jones und Hector Garza im April hatte sie das sichere Gefühl, dass hier ein Zusammenhang bestand.
Statt mit Weaver telefonierte sie mit jemandem, zu dem sie so selten Kontakt hatte, dass sie erst in ihren Notizbüchern nach der Nummer kramen musste. Doch der alte Genfer Anschluss war nicht mehr gültig, also suchte sie in der Datenbank, bis sie die aktuelle Handynummer von Jewgeni Alexandrowitsch Primakow von den Vereinten Nationen gefunden hatte.
Auch das war eine Nummer aus Genf, und sie hatte Glück, ihn anzutreffen – sie wusste, dass der Mann mehr unterwegs war als die meisten ihrer Agenten und nach den Launen der UN von Land zu Land reiste.
»Allo.« Er verzichtete darauf, seinen Namen zu nennen.
»Hier spricht Ihre älteste Freundin, Jewgeni«, antwortete sie.
»Meinen Sie die Zeit, seit der wir uns kennen, oder Ihr Geburtsjahr?«
»Beides.« Sie musste unwillkürlich lächeln. Obwohl sie während des Kalten Kriegs einige Male versucht hatte, ihn in eine Falle zu locken, war es bei ihren gelegentlichen Begegnungen in sicheren Häusern immer herzlich zugegangen. Später trafen sie sich regelmäßig bei deutsch-russischen Freundschaftskonferenzen, tranken Wein zusammen und tauschten Geschichten über alte Zeiten aus, die inzwischen nicht mehr ganz so geheim waren. Obwohl sie viel über ihn und seine geheimdienstlichen Aktivitäten wusste, fand sie ihn persönlich äußerst charmant. »Sie klingen ganz gesund«, fügte sie hinzu.
Er lachte. »Ja, meine Stimme ist mein einziges Plus. Der Rest ist für die Wissenschaft. Und Sie klingen noch immer wie ein süßes, kleines Mädchen.«
Schon seit ihrer ersten Begegnung neckte er sie wegen ihrer hohen Stimme, die nie mit der Entwicklung ihres Körperumfangs Schritt gehalten hatte. »Man darf nur nicht so genau hinschauen.«
»Übrigens, Glückwunsch zur Beförderung.«
»Können wir auf diesem Telefon reden?«
»Das möchte ich doch hoffen«, erwiderte er. »Meine Jungs haben einen ganzen Monat daran rumgebastelt.«
»Was für Jungs genau?«
»Aus der Nachbarschaft.«
»Haben Sie von diesem kleinen Rätsel in London gehört?« Sie machte eine kurze
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