Die Spinne (German Edition)
Pause. »Eine Person namens Sebastian Hall. Ich glaube, Sie kennen den Namen.«
»In meinem Alter sind doch alle Leute Bekannte.«
»Sie wissen natürlich, wer diesen Namen früher benutzt hat?«
»Ehrlich gesagt ist das nicht über meinen Schreibtisch gegangen.«
»Ihr Sohn«, erklärte sie.
»Mein Sohn?«
»Milo Weaver.«
Jewgeni schwieg. Vielleicht überlegte er, ob er es abstreiten sollte, denn sie hatten sich zwar über seine ermordete Frau Ekaterina und seine beiden Töchter Natalia und Alexandra unterhalten, doch Milo Weavers Name und auch der von Milos Mutter, Ellen Perkins, war zwischen ihnen nie gefallen. Doch ihm musste natürlich klar sein, dass sie eine derartige Bemerkung nie gemacht hätte, ohne die Fakten zu kennen. »Wie lange wissen Sie das schon?«
Seit 1979 , lag ihr auf der Zunge, aber sie sprach es nicht aus. Sie hatte Milo Weaver im Lauf der Jahre nicht ohne Grund unerwähnt gelassen, denn auf diese Weise konnte sie verbergen, dass sie die letzte Person gewesen war, die seine Mutter vor ihrem Selbstmord in einem deutschen Hochsicherheitstrakt verhört hatte. Auch jetzt machte sie einen Bogen um das heikle Thema. »Ich rufe nicht an, um alte Geschichten aufzuwärmen, Jewgeni. Mich interessiert nur, ob Sie was darüber wissen. Sebastian Hall war einer von Milos bekannten Decknamen, und ich würde gern rausfinden, warum jemand diese enttarnte Identität benutzt, die unweigerlich auf Ihren Sohn verweist.« Sie hörte sein angestrengtes Schnaufen, und kurz streifte sie die irrationale Sorge, dass er womöglich einen Schlaganfall erlitten hatte.
Doch als er sprach, war seine Stimme klar und gefasst. »Tut mir leid, Erika. Im Moment kann ich nicht viel dazu sagen. Aber Sie haben recht. Die Verbindung zu Milo ist … nun, zumindest kurios. Ich kann Ihnen Bescheid geben, sobald ich mehr erfahre.«
»Danke. Ich halte es genauso.«
»Das bezweifle ich, aber man soll die Hoffnung nie aufgeben.«
Erst am Samstagvormittag erhielt sie ein Foto von Sebastian Hall, doch da war er schon seit mehreren Stunden verschwunden. Als sie den E-Mail-Anhang aus Berlin öffnete, war sie erstaunt, auf ein Bild von Alan Drummond zu stoßen. Dann erfuhr sie, dass er nicht mehr da war und dass die Hotelkameras sabotiert worden waren.
Ab Montag war Sebastian Halls Verschwinden Gegenstand einer offiziellen Untersuchung in Großbritannien, und am Mittwoch flatterte ihr ein Bericht aus New York auf den Tisch. Wie sich herausstellte, hatte Alan Drummonds Frau Penelope bei Milo und Tina Weaver zu Abend gegessen. Anscheinend waren sie miteinander befreundet. Ebenfalls am Mittwoch erhielt Oskar von seiner englischen Kontaktperson endlich die Gästeliste des Rathbone Hotel. Erika bekam Zahnschmerzen, als sie von dieser Liste erfuhr. Gwendolyn Davis alias Leticia Jones hatte sich zur gleichen Zeit im Hotel aufgehalten. Und auch Gephel Marpa von Free Tibet. Die Tragweite dieser speziellen Information begriff sie allerdings erst, als Oskar hinzufügte: »Marpa lebt in London. Warum war er in einem Hotel?«
Als Jewgeni sie am späten Donnerstagnachmittag anrief, erwähnte sie die interessanten Hotelgäste, gewann jedoch den irritierenden Eindruck, dass ihm das alles nicht neu war. Dann berichtete sie, was sie über Alan Drummonds komplizierte Reiseroute rund um den Globus in Erfahrung gebracht hatte: von New York über Seattle, Vancouver, Tokio, Mumbai und Amman nach London. Zumindest von Mumbai hatte Jewgeni schon erfahren, denn er erzählte, dass Drummond beim Verlassen des dortigen Flughafens beobachtet worden, ihm aber niemand gefolgt war. Schließlich sagte er: »Ich habe heute mit Milo telefoniert. Er weiß nichts von der Sache.«
»Haben Sie ihn direkt gefragt?«
»Er hat mich gebeten, nachzuforschen. Ich habe ihm nicht erzählt, dass wir schon dabei sind.«
»Es schadet wahrscheinlich nicht, wenn Sie ihn ins Bild setzen.«
»Am Montag bin ich sowieso in New York. Dann rede ich mit ihm.«
»Jewgeni?«
»Ja?«
»Möchten Sie mir von Xin Zhu erzählen?«
Langes Schweigen. »Er ist Oberst beim Guoanbu, oder?«
»Die CIA ist hinter ihm her. Ich vermute, dass das auch der Grund für Alan Drummonds Londonbesuch war. Wenn der Feind unseres Feindes unser Freund ist, wäre Gephel Marpa vielleicht ein guter Verbündeter.«
»Anscheinend machen Sie sich ziemlich viele Gedanken über die Sache.«
»Ich sitze jetzt an der Spitze eines riesigen Verwaltungsapparats, Jewgeni. Sie wissen doch selbst, wie viel Zeit man da auf
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